Der Landkreis Birkenfeld steht vor großen Herausforderungen – und ebenso großen Chancen. Von der Infrastruktur über den Fachkräftemangel bis hin zur nachhaltigen Energieversorgung gibt es viele Stellschrauben, an denen gedreht werden muss, um die Wettbewerbsfähigkeit der Region zu sichern. Doch wie gut ist Birkenfeld aufgestellt? Wo gibt es Nachholbedarf, und welche Weichen müssen jetzt gestellt werden? IHK-Vizepräsident Hans-Jörg Platz und Christina Schwardt, IHK-Regionalgeschäftsführerin Landkreis Birkenfeld, sprechen im Interview über den wirtschaftlichen Kurs der Region, den Ausbau von Zukunftsbranchen und die Rolle der Unternehmen in einer sich wandelnden Wirtschaftslandschaft.


Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie in den nächsten fünf Jahren für den Wirtschaftsstandort Nahe/Hunsrück? Welche besonderen Stärken und regionalen Unterschiede sehen Sie im Vergleich zu benachbarten Regionen? Was braucht der Landkreis Birkenfeld?
Hans-Jörg Platz: Der Landkreis Birkenfeld ist stark ländlich geprägt. Wir liegen hier am Rande von Rheinland-Pfalz abseits der großen Wirtschaftszentren, sind aber keineswegs „eine Randerscheinung“. Ganz im Gegenteil. Wir haben viele innovative Unternehmen im Automotivbereich und in der Biotechnologie, wir sind in Deutschland eine führende, wenn nicht die führende Edelsteinregion. Mit dem Umwelt-Campus Birkenfeld, Deutschland „grünster“ Hochschule, und den dort ansässigen Instituten werden gut und breitgefächert junge Menschen ausbildet und stehen dann als Fachkräfte der Zukunft für unsere Unternehmen zur Verfügung.
Wir müssen alle lernen, das Potenzial, das in der Region steckt, zu erkennen und im Austausch das Positive in den Vordergrund zu stellen. Unsere Produkte und Dienstleistungen stellen wir immer im guten Licht dar, warum nicht auch unsere Region?
Welche Infrastrukturprojekte sind aus Ihrer Sicht derzeit am dringendsten für den Landkreis Birkenfeld? Welche Fortschritte wurden bisher erzielt, Stichwort Hunsrückspange?
Hans-Jörg Platz: Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur ist zentral für die wirtschaftliche Entwicklung des Landkreises Birkenfeld. Ganz wichtig ist für uns die Hunsrückspange. Mit der Hunsrückspange soll eine ortsdurchfahrtsfreie und fernverkehrstaugliche Verbindung zwischen dem Naheraum (B41) und dem Hunsrück (B50/B327) geschaffen werden.
Damit wird der Waren- und Pendlerverkehr effizienter und die Anbindung des Flughafens Hahn verbessert. Die IHK engagiert sich seit Jahren gemeinsam mit Viscon und Vertretern aus Politik und Wirtschaft für den Ausbau. Nach jahrzehntelangem Stillstand wurde mit dem Bau der Ortsumgehung Rhaunen 2019 endlich wieder ein wichtiger Schritt gemacht. Dennoch fehlen zwei zentrale Teilstücke der Hunsrückspange, die sich noch in der Planung befinden. Verzögerungen durch Zweifel des Landesrechnungshofes an der Rentabilität des Südabschnitts müssen nun dringend überwunden werden. Für die Vollendung braucht es ein klares Bekenntnis der Landesregierung und beschleunigte Planungs- und Baufortschritte.
Daniela Schmitt, Ministerin für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau des Landes Rheinland-Pfalz, hat ihre Unterstützung zugesagt, doch nun müssen ihren Worten auch Taten folgen.
Ebenso dringend ist die Realisierung der Ortsumgehung Martinstein an der B41, einer der Hauptverkehrsadern entlang der Nahe.
Diese Projekte sind mehr als Infrastrukturmaßnahmen – sie sind Investitionen in die Zukunft unserer Region, indem sie die Mobilität, Wirtschaftskraft und Attraktivität des Standorts nachhaltig stärken.
Wie bewerten Sie die bürokratischen Hürden im Land, Bund und Landkreis Birkenfeld und welche Maßnahmen könnten zur Verbesserung der Verwaltungsabläufe beitragen?
Hans-Jörg Platz: Das Ausmaß an Regulierung und unnötiger Bürokratie hat sich in Deutschland zu einem ernsten Standortnachteil für Unternehmen entwickelt. Viele Regelwerke aus Berlin und Brüssel haben in deutschen Betrieben eine Rekordflut an neuen bürokratischen Belastungen ausgelöst. Jahresbürokratieabbaugesetze und verpflichtende Praxis-Checks in allen Ressorts wären in diesem Zusammenhang ein gutes Mittel, um die Bürokratie Schritt für Schritt abzubauen. Zudem sollten Verwaltungsbehörden Unternehmen mit einfachen, schnellen und lösungsorientierten Verfahren unterstützen. Dazu ist eine Kultur der ermöglichenden Verwaltung notwendig, die Ermessensspielräume nutzt und ein echtes Verständnis sowie Interesse für die Belange der Unternehmen aufbringt. Verwaltungsmitarbeitende sollten idealerweise schon in der Ausbildung oder durch gezielte Weiterbildungen und Hospitationen praktisches wirtschaftliches Wissen erwerben, um besser auf die Bedürfnisse der Unternehmen eingehen zu können.
Die Digitalisierung spielt dabei eine Schlüsselrolle. Sie muss konsequent genutzt werden, um bürokratische Prozesse zu optimieren und eine effizientere, serviceorientierte Verwaltung zu schaffen. Eine wichtige Maßnahme ist die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Die zunehmende Dauer und Komplexität dieser Prozesse stellen mittlerweile ein ernstes Standortrisiko dar. Besonders in Zeiten des Wandels müssen Unternehmen in der Lage sein, schneller als bisher neue Projekte zu realisieren oder bestehende Anlagen zu modernisieren, um zukunftsfähig zu bleiben.
Da die Kommunalstruktur in Rheinland-Pfalz sehr kleinteilig ist, kommt es häufig zu Effizienzverlusten. Eine (noch) stärkere Zusammenarbeit von Kommunen könnte hier Abhilfe schaffen.
Der Fachkräftemangel ist ein großes Thema. Welche Initiativen unterstützt die IHK, um die MINTBildung (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) zu fördern und die Region für junge Talente attraktiver zu machen?
Christina Schwardt: Als IHK sind wir Partner der MINT-Nationalparkregion Hunsrück-Hochwald plus. Unser Ziel ist es, die vorhandenen Kompetenzen in der MINT-Bildung regional zu bündeln und das Netzwerk aus Unternehmen, Schulen und anderen Akteuren weiter zu stärken. Mit verschiedenen Aktivitäten und Veranstaltungen wollen wir frühzeitig junge Menschen für MINT-Berufe begeistern und praxisnahe Einblicke ermöglichen. Ein Höhepunkt im vergangenen Jahr war unsere MINT-Konferenz im November am Umwelt-Campus Birkenfeld. Dort haben Auszubildende aus regionalen Unternehmen ihre Berufe vorgestellt und praxisnahe Einblicke gegeben. Auch mit der Berufssafari bieten wir Schülerinnen und Schülern praktische Erfahrungen in den Bereichen Elektro und Metall – in Gruppen und Blöcken können sie hier echte Arbeitsabläufe kennenlernen und selbst ausprobieren. Darüber hinaus setzen wir im Rahmen unserer Schulpatenschaften mit Unternehmen praxisnahe Projekte um, die Berufe greifbar machen. Ein besonderer Erfolg ist unser Engagement im Bereich Biotechnologie: Gemeinsam mit Partnern haben wir erreicht, dass ein Biotechnologie-Schwerpunkt am beruflichen Gymnasium eingerichtet wurde – eine Entwicklung, die gerade für Unternehmen wie BioNTech in unserer Region von großer Bedeutung ist.
Welche Rolle spielen Start-ups und innovative Unternehmen in der regionalen Wirtschaft? Wie unterstützt die IHK diese Unternehmen?
Christina Schwardt: Start-ups und innovative Unternehmen spielen eine wichtige Rolle für die Weiterentwicklung des Landkreises Birkenfeld, auch wenn das Gründungspotenzial hier insgesamt eher niedrig ist. Besonders der Umwelt-Campus Birkenfeld stellt einen wichtigen Impulsgeber für Forschung und Innovation dar. Aus der Hochschule entstehen immer wieder interessante Ausgründungen, die einen wertvollen Beitrag zur regionalen Wirtschaft leisten.


Zudem unterstützt die IHK Gründungsvorhaben mit verschiedenen Initiativen, wie der Reihe „Gründer im Dialog“. Diese Veranstaltungen bringen Gründende, erfahrene Unternehmer und Experten zusammen, um den Austausch und die Vernetzung zu fördern. Gründungsinteressierte erhalten so wichtige Informationen zu Themen wie der Erstellung eines Businessplans, der Wahl der richtigen Rechtsform und Finanzierungsfragen.
Darüber hinaus bieten wir als IHK kostenlose Gründungsseminare, individuelle Beratung (u. a. zu Fördermöglichkeiten) und regelmäßige Sprechtage an. In diesen Sprechtagen haben Gründungsinteressierte auch die Möglichkeit, unter „4-Augen“ mit einem Steuerberater oder einem Rechtsanwalt über konkrete Fragen zu sprechen. Dieses Angebot ist für Viele sehr wertvoll, zumal es aktuell schwer ist, einen Steuerberater zu finden, der neue Mandanten aufnimmt. Als Unterstützer wird die IHK auch tätig, wenn es um Wettbewerbe oder das Gründungsstipendium RLP geht. Oftmals wissen die Gründer gar nicht, was ihnen alles zur Verfügung steht an Fördermöglichkeiten.
Wir setzen uns auch aktiv für die Verbesserung des Gründerklimas im Landkreis ein und stärken das regionale Netzwerk, um junge Unternehmen optimal zu unterstützen und den Austausch zu fördern, beispielsweise mit den Wirtschaftsjunioren Idar-Oberstein als Netzwerk junger Unternehmer und Führungskräfte unter 40 Jahren.
Welche Strategien verfolgt die IHK, um neue Unternehmen und Investitionen in den Landkreis Birkenfeld zu ziehen? Gibt es Pläne für die Ausweisung neuer Gewerbeflächen?
Christina Schwardt: Die IHK berät, informiert, steht im Austausch mit der regionalen Politik und Wirtschaftsförderung, gibt Stellungnahmen ab und vieles mehr, um das Gesamtinteresse der rund 5.500 hier ansässigen Unternehmen gegenüber Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit zu vertreten. In Bezug auf die Gewerbeflächen, ist der Landkreis Birkenfeld in der glücklichen Situation, dass es noch freie Gewerbeflächen gibt und mit dem Ökompark Heide-Westrich in Baumholder gerade die größte zusammenhängende Gewerbe- und Industriefläche in Rheinland-Pfalz entsteht. Das ist ein äußerst positiver Standortfaktor im Vergleich zu vielen anderen Regionen in Rheinland-Pfalz, denn der Engpass an Industrie- und Gewerbeflächen hat sich in den vergangenen Jahren erheblich verschärft. Hier gilt es nun, diese Gewerbeflächen zu vermarkten und zügig zu erschließen. Gewerbebetriebe sind die Basis einer erfolgreichen, zukunftsfähigen Wirtschaft, und wir setzen uns dafür ein, die Rahmenbedingungen für ihre Ansiedlung zu optimieren.
Die IHK fordert zudem einen digitalen Flächenpool, in dem Land, Regionen und Kommunen verfügbare Gewerbeflächen sowie potenzielle Entwicklungsflächen transparent darstellen. Eine koordinierte Vermarktungsstrategie ist dabei ebenso entscheidend, um den Landkreis als attraktiven Wirtschaftsstandort sichtbar zu machen.
Wie wichtig ist die nachhaltige Energieversorgung für den Wirtschaftsstandort und welche Projekte gibt es in diesem Bereich?
Hans-Jörg Platz: Nachhaltige Energieversorgung ist eines der der großen Themen der Zukunft. Es ist aber wichtig darauf zu achten, dass die Nachhaltigkeit in diesem Zusammenhang nicht isoliert betrachtet wird, sondern günstige Energiekosten und die zuverlässige Verfügbarkeit unabdingbar für eine gesunde Wirtschaft damit verknüpft sein müssen. Unternehmerinnen und Unternehmer müssen erkennen können, dass eine nachhaltige Energieversorgung sie nicht in der Entwicklung ihres Betriebes hemmt und der Energiebezug nicht zu einem Wettbewerbsproblem im In- und Ausland wird. Die hohen Energiekosten sind im Moment eines der Kernprobleme in den Betrieben.
Wie bewerten Sie das touristische Potenzial des Landkreises Birkenfeld? Welche Maßnahmen sind geplant, um die Attraktivität der Region zu steigern?
Christina Schwardt: Der Kreis Birkenfeld hat als Nationalparkregion und Edelsteinland großes touristisches Potenzial. Neben dem weltbekannten Edelstein- und Schmuckhandwerk bietet die Region Sehenswürdigkeiten wie die Felsenkirche, das historische Herrstein, die Edelsteinmine, das Edelsteinmuseum oder das Industriedenkmal Jakob Bengel. Für Natur- und Wanderfreunde ist die Region ein Paradies: Der Nationalpark Hunsrück-Hochwald und Wanderwege wie der Saar-Hunsrück-Steig oder die Traumschleifen locken zahlreiche Tagestouristen und Wochenendurlauber an, was der Gastronomie und Hotellerie zugutekommt. Trotz dieser Attraktionen bleibt die Region weit hinter ihrem touristischen Potenzial zurück. Es braucht eine starke, einheitliche Regional- und Tourismusmarke, die die Nationalpark- und Edelsteinregion besser nach außen vermarktet. Durch koordinierte Zusammenarbeit aller Akteure – von Kommunen bis hin zu Tourismusorganisationen – sollte eine klare Identität geschaffen werden, die sowohl Besucher als auch Investoren anspricht. Nur so können wir die Attraktivität der Region nachhaltig steigern und ihr volles Potenzial entfalten. Wichtig ist dabei auch, dass die Menschen aus der Region ein positives Bild ihrer Region nach außen tragen und somit als Multiplikatoren zur Vermarktung ihrer Region beitragen.
Inwiefern sehen Sie die Bedeutung von Kooperationen zwischen Unternehmen, Bildungseinrichtungen und der öffentlichen Verwaltung? Gibt es neue Initiativen in diesem Bereich?
Hans-Jörg Platz: Weder Unternehmen noch Bildungseinrichtungen, die öffentliche Verwaltung oder die Politik können die Zukunft allein gestalten – wir brauchen einander. Um gemeinsam erfolgreich zu sein, müssen wir jedoch lernen, die Perspektiven und Denkweisen der jeweils anderen Akteure besser zu verstehen, um gute Kompromisse im Sinne der „Sache“ zu finden. Ein großes Hindernis bleibt in diesem Zusammenhang aber die überbordende Bürokratie, die unseren Standort Deutschland in allen Bereichen massiv lähmt. Sowohl Unternehmen als auch die öffentliche Verwaltung und Bildungseinrichtungen könnten erhebliche Mittel einsparen und effizienter arbeiten. Wenn eine Entbürokratisierung allen Beteiligten Vorteile bringt – warum gelingt es uns dann nicht, sie entschlossener voranzutreiben? Diese Frage müssen wir uns dringend stellen.