Arbeitszeitwünsche: Kürzere Arbeitswoche auch in Vollzeit?

Beschäftigte wünschen sich vor allem mehr Flexibilität

02. Oktober 2023
Arbeitszeitwünsche: Kürzere Arbeitswoche auch in Vollzeit?

Foto: Kaspars Grinvalds - stock.adobe.com

Rund zwei Drittel aller Beschäftigten sind zufrieden mit der Länge ihrer vereinbarten Arbeitszeiten. Doch ganz nach dem Vorbild des vor kurzem eingeführten Anspruchs auf eine verkürzte Arbeitswoche in Belgien können sich auch hierzulande rund 28 Prozent der Vollzeitbeschäftigten vorstellen, ihre bestehende Wochenarbeitszeit auf weniger Tage umzuverteilen.

Belgien hat im Jahr 2022 einen Anspruch auf die Verkürzung der Arbeitswoche bei gleicher Stundenzahl in der Privatwirtschaft geschaffen. Die sogenannte Compressed Workweek (zu Deutsch: verdichtete Arbeitswoche) sieht für Vollzeitkräfte die Möglichkeit einer Umverteilung ihrer Arbeitszeit auf in der Regel vier statt fünf Tage vor bei gleicher Wochenarbeitszeit und Bezahlung.

In Deutschland wird über eine Arbeitszeitverkürzung debattiert, bedingt durch die Flexibilitätswünsche der Beschäftigten und steigende Anforderungen der Kunden. Gewerkschaften wie die IG Metall und die Lokführergewerkschaft GDL fordem kürzere Wochenarbeitszeiten mit Lohnausgleich.

Diese Vorstellungen stehen im starken Kontrast zu den in breiten Teilen der Wissenschaft und Politik diskutierten Ansätzen, die helfen sollen, das Arbeitszeitvolumen in Deutschland im Hinblick auf das im Zuge des demografischen Wandels zukünftig sinkende Erwerbspersonenpotential zu stabilisieren. Eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit, insbesondere von Teilzeitbeschäftigten, ist hierfür eine mögliche Stellschraube.

Die Beschäftigten in Deutschland wünschen sich im Durchschnitt aber offenbar zunehmend kürzere Arbeitszeiten. Der Anteil der unfreiwillig in Teilzeit Beschäftigten war im Zeitraum zwischen 2008 und 2019 rückläufig und nur ein vergleichsweise geringer Anteil der Teilzeitbeschäftigten würde gerne auf eine Vollzeitstelle wechseln.

Hinsichtlich der Diskrepanz zwischen tatsächlicher und gewünschter Arbeitszeit zeigt sich indes kein eindeutiger Befund. Während Auswertungen auf Basis des Mikrozensus bei Vollzeitbeschäftigten keinen nennenswerten Wunsch nach Arbeitszeitverkürzung feststellen, besteht bei Auswertungen auf Basis des Soziooekonomischen Panels (SOEP) bei zwei Dritteln der Vollzeitbeschäftigten ein Verkürzungswunsch, der durchschnittlich mehr als fünf Wochenstunden ausmacht. Es kann vermutet werden, dass diese Diskrepanzen auf erhebungstechnische Unterschiede zurückgehen.

Im Jahr 2021 arbeiteten in Deutschland 75 Prozent der abhängig Beschäftigten fünf Tage die Woche, wobei etwa die Hälfte von ihnen sich eine Arbeitswoche von fünf Tagen wünschte. Ein ähnlicher Anteil bevorzugte jedoch vier oder weniger Arbeitstage. Von denen, die vier Tage arbeiten möchten, wollten rund 47 Prozent dennoch 35 bis 48 Stunden arbeiten.

Der Wunsch nach kürzeren Arbeitswochen durch Ausdehnung der täglichen Arbeitszeit zeigt sich auch in einer IW-Beschäftigtenbefragung aus dem Frühjahr 2023. Rund 75 Prozent der Befragten arbeiteten in Vollzeit, während jeder Zehnte in Vollzeitnaher Teilzeit tätig war. Etwa 15 Prozent hatten eine geringere wöchentliche Arbeitszeit. Etwa zwei Drittel der Befragten hatten kein Interesse daran, ihre vertragliche Arbeitszeit mit entsprechender Gehaltsanpassung zu ändern.

Unter allen Teilzeitbeschäftigten (inkl. geringfügige Beschäftigung) können sich rund 11 Prozent vorstellen, ihre vertragliche Arbeitszeit auszudehnen. Einen Verkürzungswunsch haben hingegen rund 29 Prozent aller Beschäftigten - vor allem Vollzeitkräfte.

Rund 28 Prozent der Vollzeitkräfte würden ihre vertragliche Arbeitszeit gerne unverändert lassen, dafür jedoch ihre Arbeitszeit auf weniger Tage verteilen.

Etwa 43 Prozent der Vollzeitkräfte, die ihre vertragliche Arbeitszeit beibehalten möchten, können sich eine Compressed Workweek vorstellen. Dieses Modell findet auch in Deutschland Zustimmung unter den Beschäftigten. Es bleibt jedoch unklar, warum es bisher nicht umgesetzt wurde und welche Motive hinter dem Wunsch nach einer verdichteten Arbeitswoche stehen. Viele bevorzugen vermutlich eine Vier-Tage-Woche mit einem langen Wochenende, während Arbeitszeiten mitten in der Woche weniger beliebt sind. Dies könnte zu Konflikten bei der Arbeitstaggestaltung in Teams führen. In Branchen wie dem Einzelhandel, in denen eine durchgängige Erreichbarkeit erforderlich ist, würde das Modell in der Regel zusätzliches Personal erfordern. Vor allem Beschäftigte, die sich häufig durch ihre Arbeit gestresst fühlen, wünschen eine Compressed Workweek. Die möglicherweise damit erhofften Erholungseffekte durch mehr freie Tage in der Woche könnten sich jedoch als Trugschluss erweisen. Eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit ist nicht für alle Tätigkeiten und Beschäftigtengruppen zu empfehlen.

Lange Arbeitstage können die Konzentration, Gesundheit und Produktivität beeinträchtigen. Der Druck, fünf Tage Arbeit in vier zu erledigen, kann den Arbeitsstress erhöhen und die Fokussierung auf kreative und innovative Arbeit beeinträchtigen. In einigen Fällen kann eine längere tägliche Arbeitszeit jedoch Anfahrten oder Übernachtungen an entfernten Baustellen einsparen und so sowohl für Beschäftigte als auch Arbeitgeber vorteilhaft sein.

Das Arbeitszeitgesetz erlaubt die Verteilung einer 40-Stunden-Woche auf vier Arbeitstage, jedoch darf die Grenze von zehn Arbeitsstunden pro Tag normalerweise nicht überschritten werden. Dies bedeutet, dass der zusätzliche freie Tag in einer Vier-Tage-Woche mit Einschränkungen in der Flexibilität an den verbleibenden Arbeitstagen erkauft wird. Wenn jemand früher Feierabend machen möchte, kann dies nur an dem eigentlich freien Tag kompensiert werden, was die betriebliche Flexibilität einschränkt. Um den Wunsch nach mehr Flexibilität zu erfüllen, könnte der Gesetzgeber veraltete Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes anpassen, indem er eine wöchentliche Höchstarbeitszeit festlegt und flexible Ruhepausen ermöglicht, beispielsweise durch kurze Unterbrechungen.

Auszug aus: IW Kurzbericht 52/2023 (A. Hammermann, H. Schäfer)