Jens Geimer: "Es macht keinen Sinn, als Standort in Schönheit zu sterben"

Interview mit IHK-Vizepräsident Jens Geimer über Industrie, Natur, Fachkräfte und warum der Rhein-Lahn-Kreis vor einer wirtschaftlichen Weggabelung steht.

25. Juni 2025
Jens Geimer: "Es macht keinen Sinn, als Standort in Schönheit zu sterben"

Foto: Dominik Ketz / Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH

IHK-Vizepräsident Jens Geimer. Foto: IHK Koblenz.
IHK-Vizepräsident Jens Geimer. Foto: IHK Koblenz.

Der Rhein-Lahn-Kreis vereint scheinbare Gegensätze: Hier entstehen Hightech-Produkte neben jahrhundertealten Kulturlandschaften, moderne Industrie trifft auf Tourismus, Mittelstand auf Welterbe. IHK-Vizepräsident Jens Geimer spricht im Interview über die Stärken und Herausforderungen des Landkreises, die Bedeutung von Infrastruktur, den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und warum die Mittelrheinbrücke kein Prestigeprojekt, sondern ein Muss ist. Ein Gespräch über Zukunftsfragen in einer Region mit großem Potenzial – und ebenso großem Handlungsdruck. Herr Geimer, der Rhein-Lahn-Kreis gilt als Standort starker industrienaher Dienstleistungen. 

Welche Rolle spielt die Industrie heute für die wirtschaftliche Stärke des Landkreises?

Die Industrie ist – auch im strukturellen Wandel – tragendes Rückgrat unserer regionalen Wirtschaft. Ohne Produkte und Waren, die dort gefertigt bzw. hergestellt werden, gibt es nichts zu kaufen. Und: Industrienahe Dienstleistungen, Logistik und spezialisierte Fertiger ziehen ihre Wertschöpfung, Beschäftigung und Innovation aus diesem Sektor. Dies wird häufig vergessen. Der Rhein-Lahn-Kreis profitiert dabei auch von der Nähe zu den Zentren entlang des Rheins, bleibt aber auch eigenständig leistungsfähig, was wir gerade in der Zusammenarbeit mit mittelständischen Unternehmen sehen.

Ein Zukunftsthema ist dabei der Einsatz Künstlicher Intelligenz in industriellen Prozessen – von der Wartung über die Produktion bis hin zum Kundenservice. Unternehmen, die sich hier frühzeitig aufstellen, sichern ihre Wettbewerbsfähigkeit. 

Mit großen Gewerbe- und Industriegebieten in Diez, Nassau, Lahnstein und Nastätten – wie attraktiv ist der Kreis für Unternehmen, die sich hier ansiedeln möchten?

Wichtig ist eine solide Infrastruktur und vor allem eine starke Verankerung des Mittelstands in unserer Region. Gleichzeitig zeigt unser 2024 veröffentlichtes Standortpapier „Rhein-Lahn-Kreis: Fit für die Zukunft?“ auf, dass es Handlungsbedarf gibt – bei der Digitalisierung, bei der Entwicklung nachhaltiger Gewerbegebiete und in der überörtlichen Verkehrsanbindung. 

Ein zentrales Thema ist dabei die Mittelrheinbrücke, die endlich kommen muss – als elementare Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung auf beiden Seiten des Rheins. Die Brücke würde nicht nur Verkehrsströme entzerren und völlig ineffiziente wie umweltschädliche Umwege verhindern, sondern auch Betriebe besser vernetzen, Arbeitswege verkürzen, neue Gewerbeansiedlungen ermöglichen und den Tourismus fördern. Wer investiert, braucht Planungssicherheit und Tempo – daran müssen wir gemeinsam mit der Politik arbeiten. 

Gleichzeitig lebt der Rhein-Lahn-Kreis von seiner landschaftlichen Schönheit und dem Tourismus. Wie gelingt es, Industrie und Natur im Einklang zu entwickeln?

Nachhaltigkeit ist kein Widerspruch zur industriellen Entwicklung – im Gegenteil: Moderne Industrie denkt schon aus Effizienz- und Kostengründen heute ressourcenschonend und nachhaltig. Unser Ziel muss es sein, ökologisches und wirtschaftliches Potenzial zusammenzudenken, etwa durch flächensparende Entwicklung, neue Materialen und Entwicklungen, Energieeffizienz oder nachhaltige Mobilitätskonzepte. Dafür brauchen wir klare Leitplanken und mutige Konzepte – lokal, regional und überregional. Wichtig ist dabei, dass Naturschutz nicht als Verhinderungsinstrument wahrgenommen oder gar missbraucht wird, sondern als integrativer Teil von Standortentwicklung. Denn eines sollte auch klar sein: Es macht keinen Sinn, als Standort in Schönheit zu sterben.

Mit gleich drei Weltkulturerbestätten ist der Rhein-Lahn-Kreis in einer herausragenden kulturellen Position. Welche wirtschaftlichen Chancen ergeben sich daraus?

Diese Alleinstellungsmerkmale sind Gold wert – für den Tourismus, aber auch für die weiche Standortattraktivität. Sie schaffen Anlässe für Investitionen in Infrastruktur, Gastgewerbe, Freizeitwirtschaft und Dienstleistungen. Gleichzeitig stärken sie die Identität der Region – das ist ein echter Wettbewerbsvorteil im Ringen um Fachkräfte und Besucher. Finden Sie mal einen Landkreis, der mit gleich drei Welterbestätten aufwarten kann! Diese kulturellen Leuchttürme sind nicht nur Teil unseres Erbes, sondern auch Teil unserer wirtschaftlichen Zukunft. Wir müssen hier mehr daraus machen!

Der berühmte Loreleyfelsen am Rhein. Foto: DOC RABE Media - stock.adobe.com
Der berühmte Loreleyfelsen am Rhein. Foto: DOC RABE Media - stock.adobe.com

„Arbeiten, wo andere Urlaub machen“ – ist das im Rhein-Lahn-Kreis mehr als ein Slogan? Wie steht es um die Lebensqualität und Standortattraktivität für Fachkräfte?

Das ist Realität – zumindest in Ansätzen. Die hohe Lebensqualität, bezahlbarer Wohnraum, Nähe zur Natur und gute Anbindung an die Metropolregionen sind Pluspunkte. Aber: Ohne verlässliche Kinderbetreuung, moderne Schulen und ein leitungsfähiges digitales Umfeld bleiben diese Vorteile ungenutzt.

Genauso wichtig ist eine gelebte Willkommenskultur – für Auszubildende, für zuziehende Fachkräfte und für Menschen mit internationalem Hintergrund. Unternehmen brauchen die richtigen Rahmenbedingungen, um neue Mitarbeitende nicht nur zu gewinnen, sondern auch langfristig zu halten. Hier ist auch die Region gefragt – mit bezahlbarem Wohnraum, Freizeitangeboten und einem offenen gesellschaftlichen Klima. 

In direkter Nähe befinden sich renommierte Hochschulen wie Fresenius, die Hochschule Koblenz oder die EBS. Wie lässt sich dieses Potenzial für den Wirtschaftsstandort besser nutzen?

Die Nähe zu Hochschulen ist ein Schatz, den wir gezielt heben, intensiver nutzen müssen. Kooperationen bei dualen Studiengängen, Transferprojekten oder Start-ups sind da nur erste Schritte. Wir brauchen mehr Plattformen, auf denen Wirtschaft und Wissenschaft sich systematisch begegnen – gerade auch in den ländlich geprägten Räumen des Kreises. Wenn junge Talente aus den Hochschulen direkt mit Unternehmen der Region in Kontakt treten, entsteht Innovation direkt vor Ort.

Wie beurteilen Sie die Innovationsfähigkeit der Unternehmen im Rhein-Lahn-Kreis – und wie kann die IHK hier gezielt unterstützen?

Unsere Unternehmen sind innovativ – aber oft im Verborgenen. Viele Hidden Champions agieren hochspezialisiert und zukunftsorientiert. Ein Beispiel: Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz etwa in der Qualitätssicherung oder Kundenanalyse wird bereits punktuell genutzt – aber das Potenzial ist bei weitem nicht ausgeschöpft.

Die IHK kann hier Impulse setzen – durch Netzwerke und Förderberatung. Aber die Rahmenbedingungen müssen auch stimmen: Glasfaserausbau, lückenlose Mobilfunkversorgung und eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur, wie die bereits erwähnte Mittelrheinbrücke, sind Grundvoraussetzungen für echte Innovation und Standortattraktivität. 

Die Bundesgartenschau 2029 rückt näher und wird auch den Rhein-Lahn-Kreis tangieren. Welche wirtschaftlichen Impulse erwarten Sie sich davon – insbesondere für Tourismus und Mittelstand?

Die BUGA ist eine Riesenchance und ein Katalysator–nicht nur für touristische Investitionen, sondern auch für die infrastrukturelle Entwicklung. Wenn wir es schaffen, die Regionen besser zu vernetzen, neue Angebote zu schaffen und langfristige Effekte zu erzielen, dann profitieren Mittelstand, Handwerk und Gastronomie gleichermaßen – mithin dies hiesige Bürgerschaft. Die Buga 2011 in Koblenz hat gezeigt, wie nachhaltig erfolgreich ein solches Event für die Region sein kann. Wichtig ist: Es darf kein Strohfeuer sein, sondern ein dauerhafter Schub für die Region. Auch hier gilt: Infrastrukturprojekte wie die Mittelrheinbrücke müssen in diesen Kontext eingebunden werden. 

Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen für den Wirtschaftsstandort – und wie lässt sich diesen begegnen?

Der Fachkräftemangel, schleppende Genehmigungsverfahren und infrastrukturelle Defizite bremsen uns aus. Die IHK setzt sich für schlanke Prozesse, praxisnahe Bildung und mehr Kooperation in der Regionalentwicklung ein. Aber klar ist: Ohne politischen Gestaltungswillen und mehr Tempo in der Umsetzung – sei es beim Breitbandausbau, bei der Realisierung der Mittelrheinbrücke oder der Einführung vereinfachter und digitaler Verwaltungsprozesse – werden wir Potenziale verschenken. Wir brauchen jetzt konkrete Umsetzungsschritte statt Ankündigungen. 

Wenn Sie einen Wunsch für die wirtschaftliche Zukunft des Rhein-Lahn-Kreises frei hätten – wie sähe dieser aus?

Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam den Mut haben, den Strukturwandel aktiv zu gestalten – mit einer klaren Vision, partnerschaftlicher Zusammenarbeit und einem Fokus auf nachhaltigem Wachstum. Der Rhein-Lahn-Kreis hat alle Voraussetzungen, zu einem echten Zukunftsraum zwischen Lahn und Rhein zu werden – wir müssen sie nur nutzen. Und wenn ich einen ganz konkreten Wunsch nochmal äußern darf: Die Mittelrheinbrücke muss Realität werden – für die Menschen, die Unternehmen und die ganze Region.