Mit Jens Geimer, Vizepräsident der IHK Koblenz für den Westerwald- und Rhein-Lahn-Kreis sowie dem IHK Regionalgeschäftsführer Richard Hover unterhielten wir uns über ihre wirtschaftsstarke, von vielen mittelständischen Unternehmen geprägte Region.

Wie sehen Sie Ihre Region?
Hover: Die Wirtschaftsstruktur ist sehr heterogen in beiden Landkreisen. Wir haben keine stark ausgesprägten Cluster, das war früher mal. Wir haben eine konjunkturstabile, rezessionsabwehrende Grundstruktur. Die Arbeitslosenquote in den letzten 20 Jahren - auch in Krisensituationen - ist nie über vier Prozent gekommen.
Geimer: „Die vielen Mittelständler sind zuverlässige Arbeitgeber auch in der Krise werden nicht gleich Mitarbeiter entlassen. Außerdem bilden Mittelständler sehr stark aus und übrigens auch weiter.“
Hover: „Wir haben extrem gute Unternehmen. Schauen Sie sich nur an, wie viele Hidden Champions wir haben. Und wie viele insbesondere aus dem nördlichen RLP kommen. Das ist erstaunlich. Die heterogene Struktur ist sehr resilient bei konjunkturellen Schwankungen. Das spricht für Arbeitsplatzsicherheit. Unsere Region als Standort ist hervorragend. Dies müssen wir nach innen und außen deutlicher machen.“
Wie wollen Sie das machen?
Geimer: „Kommunikation. Wir müssen unsere Pfunde nach außen tragen. Wir haben bezahlbaren Wohnraum. Wir sind ruckzuck an den Arbeitsplätzen, haben eine gute Anbindung in die benachbarten Ballungszentren. Wir haben viele Kulturangebote und Freizeitmöglichkeiten. Es wissen nur noch lange nicht alle, wie toll es hier ist. Wir müssen uns besser nach außen verkaufen, um Fach- und Führungskräfte anzulocken. Und natürlich um alle davon zu überzeugen, auch hierzubleiben.“
Hover: „Ich kann das nur unterstreichen. Als hier der ICE Bahnhof gebaut wurde, war hier so eine Zweiflerstimmung. Brauchen wir den überhaupt? Wir haben damals eine Marketingkampagne innerhalb der Region gestartet, um den Mehrwert des Bahnhofs für die Region in die Köpfe der Bewohner zu bekommen. Dann sind wir auch nach außen gegangen, um diesen Standortvorteil zu vermarkten.“
Zieht es denn viele Arbeitnehmer in die großen Städte?
Hover: Wir haben nicht sehr viel Abwanderung, deshalb ist die Region auch stark. Die, die mal weggehen, kommen sehr gerne wieder zurück. Zudem sind in Rheinland-Pfalz die Kindergartenkosten ab dem vollendeten zweiten Lebensjahr beitragsfrei. Das ist ein riesengroßer Standortvorteil gegenüber anderen Bundesländern.“
Stichwort Deutschlandtempo. Bemerken Sie eine Veränderung?
Geimer: „Das Deutschlandtempo kommt aktuell bei Unternehmen nicht an.“
Hover: Tempo könnten wir gebrauchen. In vielerlei Hinsicht. Besonders bei digitalen und energetischen Infrastrukturmaßnahmen. Ein Beispiel: Es dauert fünf Jahre, bis man eine Windkraftanlage aufstellen kann. Bürokratie und Bedenkenträgertum auf allen Ebenen!“
Geimer: „Das tut Unternehmen weh. Sie investieren in Solar, aber die Anschlüsse kommen nicht bei. Anderes Beispiel: Schauen Sie, wie lange Straßenbaustellen dauern. In anderen Ländern wird im Drei-Schicht-Betrieb gearbeitet. Die Baustellen blockieren jeden. Arbeitnehmer kommen schon schlecht gelaunt in der Firma an. Aber besonders die Versorgungslogistik und die Transportlogistik aus den Firmen heraus werden gebremst. Und das über unkalkulierbare Zeiträume. Die Wirtschaft muss aber Termine einhalten.“

Wieso kommt kein Tempo rein?
Hover: Es ist kompliziert, es ruckelt an allen Ecken und Enden. Wir sehen die Probleme, es fehlt jedoch der Mut, Entscheidungen zu treffen, jeder sichert sich nach allen Richtungen ab.“
Geimer: Alle reden von Bürokratieabbau. Was passiert wirklich? Alle staatlichen Stellen haben in den letzten Jahren Personal massiv aufgebaut, statt sich selbst besser zu organisieren und rationalisieren. Da sitzen auch Fachkräfte, die uns in den Unternehmen fehlen.“
Was halten Sie von der 4-Tage-Woche bei reduzierter Wochenarbeitszeit, aber gleichem Lohn?
Geimer: „Die Frage ist, ob jeder bereit ist, mehr für sein Brötchen, die Handwerkerstunde, den Gang ins Restaurant oder das neue Fahrrad zu zahlen? Denn, da die Produktivität erfahrungsgemäß nicht in gleichem Maße steigt, gehen die Lohnstückkosten nach oben. Und das müssen Unternehmen weitergeben.“
Hover: Und 4-Tage-Woche bei gleicher Stundenzahl bedeutet, die Arbeitnehmer mit 10 Stunden am Tag zu belasten. Und heute spricht jeder von Problemen bei der Resilienz. Ich bin bereit, neue Dinge auszuprobieren, aber mit gesundem Menschenverstand.“
Geimer: Wir brauchen Flexibilität, kein starres Arbeitszeitgesetz. Es muss zwischen Arbeitnehmern und Unternehmen geregelt werden.“
Sind wir für die Zukunft gut ausgerüstet?
Hover: Wir sind ein rohstoffarmes Land, der einzige Rohstoff, über den wir verfügen könnten, sitzt zwischen unseren Ohren. Der muss aber entsprechend entwickelt, gepflegt und gedüngt werden. Wir haben ein Schulsystem, das dafür einfach nicht fit genug ist.“
Was bereitet Ihnen noch Sorgen?
Hover: „Uns fällt auf die Füße, dass wir über drei Jahrzehnte fast schon eine Art Technikfeindlichkeit entwickelt haben. Was uns ethisch nicht passt, da ziehen wir uns zurück: Gentechnik, Nukleartechnik, Biotechnologie. Jetzt wieder bei KI? Wir haben ein negatives bis ablehnendes Umfeld geschaffen. Der Begriff „German Angst“ ist weltbekannt. Wenn wir uns wieder zurückziehen, sind wir raus aus dem Spiel. Wir müssen aber mitgestalten, sonst werden wir gestaltet und müssen mit dem klarkommen, was andere daraus machen. Und da fürchte ich mich tatsächlich ein wenig vor.“ Petra Dettmer