Sie heißen Brokkoli, Radieschen oder Rotkohl, sehen aber eher aus wie die hippen Verwandten des Kresse-Igels: Microgreens, also winzige Keimlinge bekannter Gemüsesorten, liegen voll im Trend. Auf Instagram zieren sie Smoothiebowls, in der Sterneküche sorgen sie für Geschmacksexplosionen. Mario Wenig von Little Leaves Microgreens in Vallendar hat sich den grünen Minipflanzen verschrieben und erklärt, warum sie mehr als nur hübsches Beiwerk sind.

Hochkonzentrierte Pflanzenkraft auf kleinstem Raum
Microgreens, das sind Keimlinge, die zwischen dem ersten und siebten Tag nach der Keimung geerntet werden – also genau dann, wenn sie ihre höchste Nährstoffdichte erreicht haben. „In dieser Phase steckt die geballte Energie der Pflanze. Sie will wachsen und mobilisiert dafür alles, was sie hat“, sagt Mario Wenig, der sich intensiv mit der Züchtung von Microgreens beschäftigt. Während ein normaler Salatkopf auf dem Transportweg oft die Hälfte seiner Vitamine verliert, bieten Microgreens eine echte Frischegarantie – und das ganz ohne Feld und Landmaschinen.
Superfood mit echtem Supernutzen
Der Begriff „Superfood“ wird heute fast inflationär verwendet – von Chia-Samen bis Goji-Beeren. Doch bei Microgreens ist der Titel gerechtfertigt: Untersuchungen zeigen, dass sie ein Vielfaches an Vitaminen, Mineralstoffen und sekundären Pflanzenstoffen im Vergleich zu ihren ausgewachsenen Verwandten enthalten können. „Brokkoli-Microgreens enthalten zum Beispiel bis zu 40-mal mehr Vitalstoffe als der reife Brokkoli“, erklärt Wenig. Vitamin C, E, Beta-Carotin – alles im Miniformat, aber in Mega-Konzentration.
Vom Wohnzimmeracker zum Zukunftsmodell
Was auf den ersten Blick wie ein skurriles Hobby aussieht, hat Potenzial für die urbane Landwirtschaft. Denn die Setzlinge brauchen wenig Platz, keine Pestizide und wachsen schnell.
In Wenigs Fall reichen ein paar Regalbretter, LED-Licht und ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem – und schon gedeihen täglich neue Chargen von Microgreens.
„Ich sehe das als Landwirtschaft 2.0. Ohne schwere Maschinen, ohne Monokulturen. Dafür mit viel Wissen und Kontrolle über jeden einzelnen Wachstumsprozess“, sagt der Experte.
Geschmacksträger mit Stil
Was viele überrascht: Microgreens sehen nicht nur gut aus, sie schmecken auch intensiv. Je nach Sorte erinnern sie an scharfe Radieschen, frischen Kohl oder würzigen Senf. Damit sind sie in der Küche mehr als nur essbare Dekoration. „Wer einmal ein Omelett mit Erbsen-Microgreens probiert hat, will nie wieder zur langweiligen Petersilie zurück“, sagt Wenig und lacht. Selbst klassische Gemüseverweigerer könnten durch die kleinen Kraftpakete auf den Geschmack kommen – allein schon wegen der Portion Coolness, die sie auf den Teller bringen.


Regional, nachhaltig, saisonunabhängig
Ein weiterer Pluspunkt: Microgreens sind völlig wetterunabhängig. Ob Sommerhitze oder Wintergrau – im Zimmergewächshaus auf der Fensterbank gedeihen sie das ganze Jahr über. Damit sind sie eine echte Alternative zu importiertem Gemüse aus Übersee. Kurze Wege, keine Verpackung, kein Frischeverlust – ein Modell, das nicht nur für Privatleute, sondern auch für Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung interessant sein könnte. „Inzwischen liefere ich auch an Restaurants in der Region“, sagt Wenig. Die Nachfrage steige, denn das Bewusstsein für gesunde Ernährung wachse.
Kleiner Aufwand, großer Effekt
Der Einstieg in die Welt der Microgreens ist denkbar einfach: Samen, Erde oder Kokosfaser, ein helles Plätzchen – und nach wenigen Tagen kann geerntet werden. „Wer einmal anfängt, hört selten wieder auf“, sagt Wenig. Denn der Erfolg ist sichtbar, essbar – und ein bisschen wie Zauberei. Gerade in einer Zeit, in der viele das Gefühl haben, die Kontrolle über ihre Ernährung zu verlieren, bieten die Minipflanzen ein Stück Selbstbestimmung.
Mehr als ein grüner Hype
Microgreens sind kein kurzlebiger Ernährungstrend, sondern ein nachhaltiger Beitrag zu einer gesunden, ressourcenschonenden Ernährung. Sie brauchen wenig, geben aber viel – an Geschmack, Nährstoffen und Möglichkeiten. „Die Zukunft der Ernährung ist nicht unbedingt größer, vielleicht nur kleiner“, sagt Mario Wenig.
Und während draußen auf den Feldern noch gesät wird, steht bei ihm schon der Salat auf der Fensterbank.
Microgreens selbst anbauen - so geht's
Was du brauchst:
- Saatgut z.B. Brokkoli, Radieschen, Erbsen, Rote Bete
- Anzuchtschale oder flache Schale
- Erde, Kokosfaser oder Vlies als Nährboden
- Sprühflasche mit Wasser
- Heller Standort (Fensterbank) oder Pflanzenlicht
So funktioniert’s:
- Schale mit Substrat befüllen und gleichmäßig anfeuchten.
- Samen dicht ausstreuen – sie dürfen ruhig eng liegen.
- Leicht andrücken und mit einer dünnen Erdschicht bedecken (je nach Sorte). Alternativ: Leicht andrücken und mit leichtem Gewicht komplett abdecken, sofern vorhanden oder möglich.
- Mit Folie oder Deckel abdecken, bis die Keimung beginnt (1–3 Tage).
- Dann hell stellen, regelmäßig mit Wasser besprühen.
- Nach 5 bis 10 Tagen können die Microgreens mit einer Schere geerntet werden.
Tipp:
Nicht alle Samen sind als Microgreens geeignet. Achte auf unbehandeltes, keimfähiges Saatgut.
Beliebte Sorten:
- Brokkoli: mild, leicht nussig
- Radieschen: würzig-scharf
- Rotkohl: zart-herb, dekorativ lila
- Erbse: süßlich und knackig
- Sonnenblume: nussig und saftig