Historische Wasserbrücke bei Nistertal

Einer von 33 vergessenen, verlassenen und unheimlichen Orten

30. Mai 2025
Historische Wasserbrücke bei Nistertal

Foto: Andreas Stahl

Mit seinem Buch Lost & Dark Places Westerwald hat Autor Andreas Stahl eine ganz eigene Perspektive auf die Region geschaffen. Er spürt darin 33 vergessene, verlassene und unheimliche – oder unheimlich faszinierende – Orte auf. Diese Orte erzählen von Geschichte, Vergänglichkeit und den Spuren, die Menschen hinterlassen haben. Neugierig geworden, habe ich mir einen dieser Orte selbst angesehen: die historische Wasserbrücke bei Nistertal.

Es ist ein Sonntag im April, als ich mich auf den Weg zum Lost Place mit der Nummer 14 aus Stahls Buch mache. Das Wetter ist typisch für den Monat: ein ständiger Wechsel aus Sonne, dem berühmten Westerwälder Wind und kurzen Regenschauern. Mit dem Auto fahre ich zunächst bis zum Bahnhof Büdingen, dann geht es zu Fuß weiter.

Ich wandere über Wiesen, rechts von mir verläuft die Bahnstrecke. Es ist eine idyllische Landschaft, die mich begleitet. Mein Weg führt mich auch an der Nister entlang, ein Stück auf der GEO ROUTE Westerwald und dem Westerwald-Steig. Später kreuze ich auch die Kölner Route, die Route K.

Nach einer Weile erreiche ich eine Eisenbahnbrücke, die noch in Betrieb ist. Ein Zug donnert wenig später über die Gleise – ein reizvoller Kontrast zu den verlassenen Orten, die ich heute besuche. Ich folge dem Pfad weiter, laufe unter der stillgelegten Erbacher Brücke hindurch und steige den Hang hinauf, um einen besseren Blick zu bekommen. Für den sehr schmalen Pfad ist Trittsicherheit gefragt. Doch der Ausblick ist es wert. Die Szenerie ist eindrucksvoll und mystisch.

Die Erbacher Brücke - ein beeindruckendes Bauwerk

Schließlich erreiche ich die Erbacher Brücke, ein imposantes Kulturdenkmal. Diese mehrbogige Talbrücke wurde 1908/09 erbaut und war Teil der ehemaligen Bahnstrecke Erbach–Bad Marienberg. Sie überspannt mit elf Bögen und zehn Pfeilern das Nistertal und verbindet die Erhebungen Stöffel und Hahn (Hähnekopf).

Die Pfeiler stehen auf bis zu elf Meter tiefen Fundamenten. Beim Bau wurde Sand und Splitt aus den nahegelegenen Basaltbrüchen verwendet. Mit einer Länge von etwa 300 Metern und einer Höhe von fast 40 Metern war sie bei ihrer Fertigstellung 1911 die größte Betonbrücke Deutschlands – und das noch ohne Stahlarmierung. Ein wahres Wunder der Technik. Nach der Stilllegung der Bahnstrecke Erbach–Fehl-Ritzhausen im Jahr 1971 für den Personenverkehr blieb dieses Bauwerk als technisches Denkmal erhalten. Heute steht sie unter Denkmalschutz, das Betreten ist jedoch bahnpolizeilich untersagt. Die Brücke hat schon viele Jahrzehnte überstanden und zeugt von einer Zeit, in der die Eisenbahn als fortschrittlichstes Verkehrsmittel galt. Damals waren solche Konstruktionen wahre Meisterwerke der Ingenieurskunst, die mit viel Bedacht in die Landschaft integriert wurden. Heute sind sie stumme Zeugen einer vergangenen Epoche.

Die historische Wasserbrücke - eine ingenieurtechnische Meisterleistung

Nach einem weiteren Wegstück biege ich rechts ab und erreiche nach weiteren 500 Metern mein eigentliches Ziel: die historische Wasserbrücke. Die Szenerie ist ein wenig ernüchternd – gefällte Bäume und Gestrüpp bedecken das Bauwerk und versperren den Blick auf das einst so innovative Konstrukt. 

Beim Bau der Eisenbahnstrecke Erbach–Fehl-Ritzhausen hatten sich die Ingenieure mit dem vom Stöffel herabkommenden Wasser verschätzt. Immer wieder rutschten große Erdmassen auf die Gleise, an anderen Stellen unterspülte das Wasser die Bahnstrecke. Um diese Probleme in den Griff zu bekommen, wurden verschiedene Entwässerungssysteme gebaut – darunter die sogenannte Wasserbrücke.

Diese bemerkenswerte Konstruktion leitete das Wasser sicher von einer Seite der Gleisanlage zur anderen und verhinderte so weitere Schäden durch Unterspülungen. Ein simples, aber effektives Prinzip, das damals notwendig war, um den Bahnbetrieb langfristig zu sichern. Heute ist von der einst bahnbrechenden Konstruktion nur noch wenig sichtbar, doch ihre Bedeutung für den Eisenbahnbetrieb bleibt unbestritten.

Ein Abstecher zum Stöffelpark

Nachdem ich die Wasserbrücke erkundet habe, führt mich mein Weg noch weiter. Ich steige hinauf zum Aussichtsturm beim Stöffelpark, ein lohnender Abstecher. Auch dieser Ort hat einen gewissen „Lost-Place-Charme“. Der Stöffelpark selbst ist ein beeindruckendes Industriedenkmal, das die Geschichte des Basaltabbaus in der Region erzählt. Die alten Maschinen, das weitläufige Gelände und die teils verfallenen Bauwerke lassen erahnen, wie geschäftig es hier einst zuging.

Schließlich kehre ich zum Ausgangspunkt meiner Wanderung zurück. Das Auto steht noch dort, wo ich es geparkt habe. Ein spannender Tag geht zu Ende – und ich habe wieder ein Stück Geschichte meiner Wahlheimat entdeckt. Doris Kohlhas