Alters diskriminierung oder ein Schritt zu mehr Sicherheit?

Die Führerschein-Reform mit Fahrtauglichkeitstest ab 70 stößt auf herbe Kritik

05. Oktober 2023
Alters diskriminierung oder ein Schritt zu mehr Sicherheit?

Foto: Fabio - stock.adobe.com

Vernünftig und vorausschauend oder unverhältnismäßig und inakzeptabel? Das Thema einer Führerschein-Reform inklusive eines regelmäßigen Fahrtauglichkeitschecks für Senioren erhitzt derzeit die Gemüter, denn was die EU vor dem Hintergrund steigender Unfallzahlen plant, stößt nicht nur auf Bundesebene, sondern auch im Kreis Neuwied auf Skepsis und Gegenwehr. Geht es nach der EU, sollten sich in Deutschland künftig Fahrzeugführer ab 70 alle fünf Jahre einem Test unterziehen, der ihre Fahrtauglichkeit belegt. Doch nicht nur Verkehrsminister Volker Wissing steht dieser Idee mit gemischten Gefühlen gegenüber, auch der heimische CDU-Bundestagsabgeordnete Erwin Rüddel findet klare Worte zur Unverhältnismäßigkeit dieser möglichen Maßnahme: „Die von der EU-Kommission geplante obligatorische Überprüfung empfinde ich als anlasslose und damit nicht nachvollziehbare Infragestellung aller über 70-Jährigen, die in keiner Weise verhältnismäßig ist.“ Vor allem für ländlichen Regionen, wie den Kreis Neuwied, könnte eine Regelung dieser Art Probleme mit sich bringen, da diese nicht wie Bürger einer Großstadt von einem optimalen ÖPNV-Angebot profitieren. Doch warum denkt man auf europäischer Ebene über eine Führerschein-Reform nach? Die Antwort ist klar: mehr Verkehrssicherheit. Im vergangenen Jahr starben in EU-Ländern 20.600 Menschen im Straßenverkehr. Dieser Entwicklung wolle man entgegenwirken. Hinzu kommt, dass Tests zum Thema Fahrtauglichkeit in einigen EU-Ländern bereits gängige Praxis sind. Konkret sieht der Entwurf der Richtlinie somit vor, dass alle Mitgliedstaaten Führerscheine von Personen, die 70 Jahre alt sind, auf maximal fünf Jahre befristen. Auf diese Weise könnten Verkehrstauglichkeitschecks oder Auffrischungskurse in allen Mitgliedstaaten leichter eingeführt werden. Doch ist dieses Modell auch in Deutschland umsetzbar, wo es für Pkw-Fahrer aktuell noch keine befristeten Führerscheine gibt? Rüddel verneint diese Frage ausdrücklich: „Hier wird eine ganze Generation unter Generalverdacht gestellt, und das ist eine Altersdiskriminierung, die durch nichts begründbar ist“, betont der CDU-Bundestagsabgeordneten. Außerdem werde seiner Ansicht nach diese pauschale Holzhammermethode nicht zu mehr Verkehrssicherheit führen. Vielmehr würden die Zahlen belegen, dass die Anzahl der 18- bis 24-jährigen Unfallbeteiligten nicht wesentlich niedriger sei als der Anteil der älteren.

Diese Aussage bestätigt auch Andreas Neumann von der Polizeidirektion Neuwied: „Wie die Verkehrsunfallbilanz für den Landkreis Neuwied ausweist, ist eine signifikante Beteiligung an Verkehrsunfällen von Verkehrsteilnehmern ab dem 70. Lebensjahr nicht festzustellen.“ Dennoch ereigneten sich laut Statistik im vergangenen Jahr 1.983 Verkehrsunfälle in Kreis mit Beteiligung von Senioren, gegenüber zum Vorjahr ist dies ein Plus von 247. In Folge dieser Unfälle wurden 35 Senioren schwer und 106 leicht verletzt. Senioren sind, so lässt sich der Statistik entnehmen, somit an 21,8 Prozent aller Verkehrsunfälle im Bereich der Polizeidirektion Neuwied beteiligt und im Falle ihrer Beteiligung zu 67,7 Prozent Hauptunfallverursacher. Eher skeptisch zur angedachten Reform äußert sich dagegen der ADAC. Aktuell könne die Führerscheinbehörde bei Pkw- und Motorrad-Fahrerlaubnissen nur in begründeten Fällen eine Überprüfung anordnen, und dieses bestehende, anlassbezogene System für Testverfahren hält der ADAC für ausreichend. So könne der Anlass für eine Überprüfung der Fahrtauglichkeit nicht allein das Alter sein. Auch schließt sich der ADAC der Aussage Rüddels zum Thema Unfallzahlen an. Zwar könne es mit zunehmendem Alter zu Leistungseinbußen kommen, doch sei das Unfallrisiko älterer Fahrer nicht außergewöhnlich hoch. Vielmehr zeichne sich der Fahrstil älterer Verkehrsteilnehmer durch situationsangepasstes und vorausschauendes Fahren aus. ADAC-Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand bringt es auf den Punkt: „Der EU-Vorschlag zu Fahreignungstests ab dem 70. Lebensjahr geht an der Realität vorbei und kann so nicht bleiben.“ 

Kritik gibt es auch von Seiten des Neuwieder Seniorenbeirats, so findet Werner Hammes, der nicht nur als Vorsitzender stellvertretend für seine Mitstreiter das Wort ergreift, sondern auch persönlich zur betroffenen Altersgruppe zählt, die rund ein Drittel der Bevölkerung umfasst, deutliche Worte für die Idee der EU: „Ich lehne eine Regelung dieser Art grundsätzlich ab.“ Vielmehr, das betont auch Hammes, verfügten ältere Autofahrer über mehr Erfahrung im Straßenverkehr und seien dadurch vorausschauend und entsprechend vorsichtig unterwegs.

Vor diesem Hintergrund sei es aber auch von Bedeutung, selbstreflektiert zu bleiben: „Es gibt im Alter zahlreiche Möglichkeiten, die Qualität der eigenen Fahrweise zu erhalten“, sagt Hammes und verweist auf freiwillig Fahrstunden, Fahrtests beim TÜV oder private und der Schweigepflicht unterliegende Gesundheitschecks zum Beispiel beim Hausarzt. So könne die eigene, sowie die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer dauerhaft gewahrt bleiben.

Vor dem Hintergrund zahlreicher kritischer Stimmen stellt sich nun die Frage, wie wahrscheinlich es tatsächlich ist, dass sich Senioren ab 70 künftig einem Fahrtauglichkeitstest unterziehen müssen. Verkehrsminister Wissing hält das Etablieren verpflichtender Tests in Deutschland für unwahrscheinlich. So hatte sich der Politiker bereits dagegen ausgesprochen und bekräftigte diese Aussage nun erneut. So gebe es aus seiner Sicht keinen Grund für zusätzliche Anforderungen, womit er auch die Ansicht des Deutschen Verkehrssicherheitsrat teilt, der eine mögliche verpflichtende Überprüfung der Fahrtauglichkeit von Senioren konsequent ablehnt.

Die Polizeiinspektion Neuwied vertritt in diesem Zusammenhang eine etwas andere Meinung. So betont Neumann, dass grundsätzlich alle sinnvollen und geeigneten Maßnahmen begrüßt werden, die zur Sicherheit im Straßenverkehr beitragen. Ob dies allerdings allein durch eine Nachprüfung für ältere Verkehrsteilnehmer – beispielsweise durch einen Gesundheitscheck – erreicht werden könne, sei schwer zu beurteilen. „Die Polizei ist nach dem Straßenverkehrsgesetz bereits heute schon dazu verpflichtet, Informationen den Fahrerlaubnisbehörden zu übermitteln, wenn Tatsachen vorliegen, die Zweifel an der Fahreignung einer Person aufkommen lassen“, erklärt Neumann, der in diesem Zusammenhang allerdings betont, dass die Informationspflicht nicht an bestimmte Altersgrenzen gekoppelt sei.

Fest steht somit, dass es zum einen den EU-Mitgliedsstaaten überlassen bleibt, ob Tests verpflichtend oder freiwillig sind, und zum anderen jeder Verkehrsteilnehmer seine Fahrtauglichkeit auch selbst hinterfragen sollte.

Im Straßenverkehrsgesetz (StVG) findet sich zum Thema Fahreignung daher folgender Paragraf: „Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat.“ (§ 2, Absatz 4, Straßenverkehrsgesetz).

Hinzu kommt außerdem der Fakt, dass Reaktionsvermögen, Seh- und Hörvermögen sowie die allgemeine Beweglichkeit mit dem Alter abnehmen. Somit ist wohl auch in Zukunft Eigenverantwortung sowie die Aufmerksamkeit von Angehörigen und Beifahrern gefragt. Regine Siedlaczek

Zahlreiche europäische Länder setzen auf Kontrollen

Im Gegensatz zu Deutschland sind in zahlreichen europäischen Nachbarländern regelmäßige Gesundheitschecks für ältere Autofahrer gesetzlich vorgeschrieben. So sind zum Beispiel in der Schweiz alle Fahrzeugführer ab 75 Jahren im zwei Jahres Turnus zu einer Prüfung der Fahrtüchtigkeit beim Hausarzt verpflichtet.

Auch in den Niederlanden gibt es eine Attest-Pflicht. Diese gilt ebenfalls ab 75 Jahren und muss alle fünf Jahre wiederholt werden. In Dänemark müssen sich Autofahrer dagegen ab 80 jedes Jahr einem Test unterziehen.

In Italien setzt man ebenso auf Kontrollen. Dort müssen Menschen unter 50 Jahre alle zehn Jahre, ab dem 50. Lebensjahr alle fünf Jahre den Führerschein verlängern lassen. Ab 70 geht es alle drei, ab 80 dann alle zwei Jahre zum Test.

In Spanien ist der Gesundheitstest ab 65 Jahren obligatorisch und muss alle fünf Jahre wiederholt werden, und in Portugal ist ein Test bereits ab 50 Jahren Pflicht und muss zunächst alle fünf Jahre wiederholt werden. Ab 70 beträgt die Frist nur noch zwei Jahre. In Tschechien sind Autofahrer ab 60 Jahre verpflichtet, sich alle fünf Jahre überprüfen zu lassen, mit zunehmendem Alter werden auch dort die Intervalle kürzer. rsz