Koblenz: Gut sehen und hören

Der Name „Becker“ ist in der Stadt seit 100 Jahren eng verbunden mit zwei Hauptsinnesorganen. Neben der Filiale in Koblenz gibt es weitere an 21 Orten.

21. Mai 2025
Koblenz: Gut sehen und hören

Brigitte HilgertBecker (Mitte) leitet mit Sohn Dan und Tochter Eva Keil-Becker (rechts) das Unternehmen Becker Hörakustik, Frank Natschke (links) ist Geschäftsführer von Brillen Becker.

1925: Koblenz ist Beamtenstadt mit vielen Verwaltungen und Behörden. Deren Mitarbeiter sind überwiegend Brillenträger, was das Optikergeschäft enorm belebt. Rund 50 Brillenläden gibt es in der Stadt. Auch Andreas Becker, Diplom-Optiker, gründet einen Betrieb. Der wächst rasant und erweitert sein Spektrum um ein weiteres Sinnesorgan. Neben den Augen sind es die Ohren. Gut sehen und hören - das verbindet sich seitdem unmittelbar mit dem Namen Becker. Das Geschäft befindet sich damals wie heute in der Koblenzer Schloßstraße.

Konstanz - das ist Teil der inzwischen 100-jährigen Firmengeschichte. Dynamik, technischer Fortschritt, Mut zu Veränderungen und die Bereitschaft, auch mal alles kräftig umzukrempeln auch das gehört dazu. Im Krieg zerstört, legte das Unternehmen von Andreas Becker und Ehefrau Marga einen Neustart hin. Zeitgleich wurden die Kinder großgezogen. Zwei von ihnen, Hansherbert und Brigitte, steigen später in das Familienunternehmen ein. Nach dem Tod von Vater Andreas werden sie ab 1982 die beiden Sparten Optik und Hörakustik eigenständig weiterführen. 

Was daraus wurde, lässt aufhorchen. Becker Hörakustik beschäftigt heute 120 Mitarbeiter an 22 Standorten. Einer liegt sogar jenseits der Landesgrenze in Bonn. Mit der Filialisierung startete der Firmengründer bereits 1958 in Bad Ems, „der zu den Gründern des Hörakustikerhandwerks zählte“, wie seine Tochter berichtet. Über Jahre habe sich Vater Andreas für eine Anerkennung als eigenständigen Handwerksberuf eingesetzt - mit Erfolg. Längst ist das Gewerk meisterpflichtig.

Brillen-Becker wird seit 2011 durch Geschäftsführer Frank Natschke geleitet, der seit 1996 im Betrieb steht. 45 Mitarbeiter an fünf Standorten zählt die Optik-Sparte. Auch wenn das einstige Familienunternehmen aufgeteilt wurde, so erklären doch alle Hauptprotagonisten im 100. Jubiläumsjahr gemeinsam den Werdegang und stehen zusammen für dessen Geschichte. Brigitte Hilgert-Becker ist seit 60 Jahren treibende Kraft, die zusammen mit Sohn Dan und Tochter Eva die Becker Hörakustik leitet. Frank Natschke verantwortet Brillen Becker. Die beiden Laden-Geschäfte mit Werkstatt liegen in Koblenz nebeneinander in der Schloßstraße 23 und 25 - also dort, wo schon vor fast 100 Jahren das Becker-Logo die Fassade zierte.

Traditionsverbunden ist man auch der Hausbank und dem dortigen Konto: Sagenhafte drei Stellen weist die Kontonummer beider Betriebe aus! Auch das Leitbild und der Wertekodex der Gesundheitsunternehmen ist strikt ausgerichtet auf Ethik und Humanismus. Soziales Engagement zählt dazu, so bei der Hörakustik das Projekt„Hilfe für kleine Ohren“, das Kinder mit Hörverlust wieder am akustischen Leben teilnehmen lässt.„Gerade, weil oft auch schon Kinder zu Brillenträgern werden, ist die Bindung der Kunden an unser Unternehmen zeitlebens“, erklärt Frank Natschke. Brigitte Hilgert-Becker ergänzt: „Die Menschen werden immer älter und benötigen beizeiten auch eine Hörunterstützung.“ Entsprechend wächst der Kundenstamm. Die ältesten darunter sind über 100-älter, als der Betrieb selbst. Eine beeindruckende Geschichte, die in 100 Jahren geschrieben wurde. Und die längst noch nicht zu Ende ist.

Kontakt:
Becker Hörakustik OHG
Tel. 0261 350 50
www.beckerhoerakustik.de

Kontakt:
Brillen Becker GmbH
Tel. 0261 2016 550
www.brillen-becker.com

Jahr 1920

Das Handwerk in der Nachkriegszeit

Zwei Jahre nach seinem Ende waren die Auswirkungen des ersten Weltkriegs auf das Handwerk im Koblenzer Kammerbezirk noch immer dramatisch und belastend. Mehr als 8.000 Handwerker waren zum Militärdienst eingezogen worden, 5.000 Betriebe mussten ihren Betrieb einstellen. Tote, Verletzte und Gefangene waren infolge des Krieges zu beklagen. Mit 16.648 eingetragenen Betrieben, die gerade noch 2.940 Lehrlinge ausbildeten, wurde in der noch jungen, 20-jährigen Kammergeschichte ein neuer Negativrekord erreicht.

Die Besetzung des Rheinlands durch amerikanische und französische Truppen verschärfte die Krise zusätzlich. Die Rohstoffversorgung wurde unterbunden, Verkehrswege gekappt. Die Wirtschaftsverwaltung in der Besatzungszone wurde der Interalliierten Rheinland-Kommission unterstellt. Diesen schwierigen Rahmenbedingungen setzte die Handwerkskammer eine Schärfung als Interessensvertretung des heimischen Handwerks entgegen - durchaus erfolgreich, denn laut einem Bericht der Vollversammlung war das Jahr 1920 geprägt durch einen regelrechten Ansturm der Handwerksmeister auf die Geschäftsstelle der Handwerkskammer. In einigen Regionen des Kammerbezirks stieg der Organisationsgrad selbstständiger Handwerker auf sagenhafte 100 Prozent, darunter Koblenz-Stadt und der Kreis Altenkirchen.

In Folge der sich verbessernden Situation im Handwerk stiegen 1920 auch wieder die Zahlen der Meisterschüler. Mit 514 Teilnehmern wurden sogar die Vorkriegszahlen übertroffen!

Probleme bereitete ein steigendes Angebot billiger Konkurrenzprodukte aus der Industrie und deren Vertrieb über Konsumvereine. „Das Handwerk muss umdenken und rationeller einkaufen und produzieren“, mahnte der damalige hauptamtliche Kammerverantwortliche, Heinrich Otto. Doch schon bald wurden die weiteren Planungen oder Hoffnungen für einen wirtschaftlichen Aufschwung begraben. Inflation und Geldentwertung prägten das öffentliche Leben wie die Wirtschaft. Und auch die Kammer geriet in die Turbulenzen der galoppierenden Inflation. Das Papiergeld wies in kürzester Zeit Zahlen aus, die bis dahin kaum einer kannte. Kostete ein 1.000-Gramm-Brot im Mai 1923 knapp 500 Mark, wurden dafür im Juli bereits über 2.000 Mark fällig. Anfang Oktober waren es gar 14 Millionen, einen Monat später sagenhafte 5 Milliarden Mark.

Die Planbarkeit eines Haushalts war unter diesen Bedingungen schwierig bis unmöglich. Was sich auswirkte auf den Dienstbetrieb der Handwerkskammer und ihre Leistungen. Ein Notbetrieb wurde eingeführt, Prüfungs- und Fachkurse eingestellt. Gestern kalkuliert, waren ihre Teilnahmegebühren am nächsten Tag nicht mehr das Blatt Papier ihrer Notiz wert.

Und doch hatte die katastrophale Lage sogar einen positiven Nebeneffekt: Die Hypothek auf das 1909 eingeweihte Kammergebäude in der Rizzastraße in Höhe von 80.000 Mark konnte problemlos abbezahlt werden. Der Vermögensstand materieller Werte erreichte so schlagartig das Vorkriegsniveau.

Mutig war die Entscheidung der Koblenzer Handwerkskammer, in dieser Phase eine eigene Zeitung zu gründen. Im Sommer 1921 erschienen zum ersten Mal die „Gewerblichen Nachrichten“ mit einer Auflage von 20.000 Exemplaren. Das regelmäßig erscheinende Blatt wurde allen bei der Kammer gemeldeten Betrieben kostenlos zugeschickt-eine logistische Meisterleistung, denn ein Handwerksregister gab es mit der Handwerksrolle erst ab 1929.

Diese erste Handwerkszeitung für Mitglieder gibt es mit Unterbrechungen und Namensänderungen bis zum heutigen Tag. Im Verbund gründeten mehrere Handwerkskammern - darunter Koblenz - eine eigene Verlagsanstalt, die das „Deutsche Handwerksblatt“ herausgibt.

Jahr 1930

Ende der Besatzungszeit und Fragen zur Zukunft

Im Juli 1930 besuchte Reichspräsident von Hindenburg Koblenz. Teil des Programms war auch ein Halt an der Handwerkskammer Koblenz, deren Gebäude am Kaiser-Wilhelm-Ring 31 und 33 im Hintergrund zu sehen sind.
Im Juli 1930 besuchte Reichspräsident von Hindenburg Koblenz. Teil des Programms war auch ein Halt an der Handwerkskammer Koblenz, deren Gebäude am Kaiser-Wilhelm-Ring 31 und 33 im Hintergrund zu sehen sind.

Die an die Handwerkskammer Koblenz übermittelte Drahtung kam vom Reichspräsidenten von Hindenburg persönlich, der sich als Ehrenmeister des Handwerks herzlich bedankte für die „in der schwersten Zeit und Not geleistete opfervolle Arbeit.“ Vorausgegangen war der Abzug alliierter Truppen aus der 2. Besatzungszone, zu der auch Koblenz zählte, und Hindenburg schloss mit Worten der Hoffnung, „das Handwerk wird die heiß ersehnte Freiheit benutzen zum Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft.“ Doch kurze Zeit später schlug Heinrich Otto als hauptamtlicher Leiter der Handwerkskammer nachdenkliche Worte mit Blick auf den Zustand des Handwerks an: „Traurig sieht es in vielen Betrieben aus. Arbeit ist nicht vorhanden. Rücklagen fehlen. Ist das Wohlfahrtsamt letzten Endes Helfer in der Not?“ Die Betriebszahlen stiegen zwar in dieser Zeit um 2.000 auf 21.000 - auch weil zum 31. Dezember 1929 der Aufbau der Handwerksrolle abgeschlossen wurde und damit erstmals eine solide Registrierung aller Handwerksbetriebe vorlag. Vorausgegangen war der Versand eines Fragebogens, bei dessen„Ausfüllung Bürgermeistereien und Polizei gegen eine bestimmte Vergütung herangezogen wurden.“ 2.400 Mark ließ sich die Handwerkskammer das kosten.

Doch mit der wirtschaftlichen Not Anfang 1930 stieg die Zahl der bei der HwK registrierten Betriebe auch, weil angestellte Mitarbeiter in eigenständiger Arbeit als Einmannbetrieb ihr Glück suchten. Gerade einmal 21,4 Prozent aller Handwerksbetriebe wurden durch einen Meister geleitet. Folgerichtig fiel in dieser Zeit die Zahl der Lehrlinge auf unter 4.000. In ihrer 57. Vollversammlung am 24. März 1930 wird gar eine geregelte „Beschränkung der Lehrlingshaltung“ durch Vertreter verschiedener Berufsgruppen gefordert. Das Ziel war, der steigenden Arbeitslosigkeit so entgegenzuwirken.

Das erste, 1909 eröffnete, kammereigene Gebäude stand in der Koblenzer Rizzastraße. Im 2. Weltkrieg wurde es komplett zerstört, anschließend durch einen Neubau ersetzt.
Das erste, 1909 eröffnete, kammereigene Gebäude stand in der Koblenzer Rizzastraße. Im 2. Weltkrieg wurde es komplett zerstört, anschließend durch einen Neubau ersetzt.

Die wirtschaftliche Lage wurde geprägt von Krisen des Bergbaus, der Landwirtschaft, aber auch einem hohen Druck an den Kapitalmärkten und„ungünstigen Finanzverhältnissen“. Zusätzlich war die Zahlungsbereitschaft der Kunden schlecht und viele öffentliche Aufträge wurden an „Tagelöhner“ und nicht an das Fachhandwerk vergeben, wie die Handwerkskammer kritisierte. Deren Vorstand war besorgt mit Blick auf die hohe Arbeitslosigkeit und deren mögliche politische Folgen. Am 14. September standen Reichstagswahlen an...

Denen stellte die Handwerkskammer eine deutliche Botschaft voraus: „Jeder Handwerksmeister, jede Meisterin, jeder wahlberechtigte Angehörige des Handwerks muss wählen!“, damit das Handwerk„nicht gleichgestellt wird mit den Ehrlosen, den Entmündigten und den Geisteskranken.“ Auch die Frage, wer zu wählen sei, wurde beantwortet:„Nur die Listen der mittelstandsfreundlichen Parteien.“ 22 Abgeordnete des nächsten Reichstages werden Vertreter des Handwerks sein, darunter weder NSDAP- noch KPD-Mitglieder.

Aus den Wahlen ging die NSDAP (+ 15,5 %; gesamt 18,3 %) als große Sieger in hervor und wurde hinter der SPD (5,3 %/gesamt 24,5%) zweitstärkste Kraft im Reichstag. Auch die KPD konnte Stimmen gut machen, die Parteien der Mitte verloren in einer Wahl mit sehr hoher Beteiligung. Heinrich Otto kommentierte das im Rahmen der 58. Vollversammlung am 10. Oktober 1930: „Das passendste Bild von der Notlage der deutschen Wirtschaft gibt das Ergebnis der Reichstagswahlen. Bemerkenswert ist die Schwächung der Mitte und eine ausgesprochene Stärkung der extremen Parteien von links und rechts. Außergewöhnliche Notstände verwerfen eine ruhige Politik der Mitte, sie suchen im Extremen ihr Heil.“