Das Immunsystem auf Abwegen

Wenn das Abwehrsystem beginnt, den eigenen Körper anzugreifen

26. Juni 2022
Das Immunsystem auf Abwegen

Foto: galitskaya - stock.adobe.com

Unser Immunsystem soll uns vor Erregern schützen. Eine nicht leichte Aufgabe, denn wir sind ständig irgendwelchen Viren, Bakterien, Pilzen, Parasiten oder anderen Erregern ausgesetzt. Zum Glück ist unser Immunsystem ständig im Einsatz und schützt uns – ohne, dass wir es unbedingt merken. Es ist unser ganz persönliches Verteidigungssystem gegenüber Angreifern von außen und äußerst komplex gestaltet.

Das Immunsystem verfügt über eine Vielzahl an verschiedenen „Waffen“, um die unwillkommenen Eindringlinge abzuwehren. Bereits der leicht saure pH-Wert der Haut wehrt Erreger ab, im Speichel und in der Tränenflüssigkeit sind Enzyme, die Mikroorganismen zerstören können. Die Magensäure zersetzt die Erreger und bestimmte weiße Blutkörperchen fressen manch einen Eindringlich regelrecht auf. Deshalb spricht man auch gerne von „Fresszellen“. Andere weiße Blutzellen können spezielle Antikörper bilden, mit denen fremde Strukturen erkannt werden. Aber das sind nur einige Akteure, die zum großen Abwehrsystem gehören. Im besten Fall arbeiten alle fleißig zusammen und wir bleiben von Krankheiten verschont.

Das Immunsystem spielt immer häufiger verrückt

Doch manchmal spielt unser Körper uns einen Streich. Dann wird unser Abwehrsystem hinters Licht geführt und wehrt sich gegen Stoffe, die eigentlich gar nicht schädlich sind oder fängt sogar an, den eigenen Körper zu bekämpfen. Dann ist unser Immunsystem auf Abwegen. Die Auswirkungen sind z. B. Allergien oder Autoimmunerkrankungen. Und das ist gar nicht mal so selten! Laut dem Robert-Koch-Institut gab fast jeder dritte Erwachsene an, dass bei ihm in den letzten zwölf Monaten eine Allergie diagnostiziert wurde. Und fast die Hälfte aller Erwachsenen in Deutschland entwickle eine Allergiebereitschaft. An Autoimmunerkrankungen sollen fünf bis acht Millionen Deutsche erkrankt sein. Viele davon, wissen es gar nicht. So zum Beispiel Typ-1-Diabetiker oder Personen, die an der Schilddrüsenerkrankung Hashimoto leiden.

Allergie ist eine Fehlsteuerung des Immunsystems

Was passiert also bei einer Allergie? Normalerweise wehrt das Immunsystem Erreger ab, die dem Körper schaden können. Birkenpollen, Hundehaare, Milbenkot, Erdnüsse, Weizen oder Erdbeeren sind eigentlich harmlos für den Menschen. Dennoch reagiert ein Allergiker auf diese Substanzen mit Abwehrreaktionen. Die Reaktionen reichen von leichtem Schnupfen bis zum lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock. Weshalb eine Allergie entsteht, ist nicht vollständig geklärt. Was man weiß, ist, dass mehrere Faktoren dafür sorgen, dass das Immunsystem fehlgesteuert ist. Beim Erstkontakt mit der auslösenden Substanz, also dem Allergen, passiert zunächst gar nichts. Das Immunsystem nimmt das Allergen wahr, registriert und speichert es unter „gefährlich“ ab. Wenn irgendwann später einmal dieses Allergen wiedererkannt wird, dann wird das Abwehrsystem aktiviert, um den Eindringling abzuwehren. Die Haut juckt, die Nase läuft oder die Augen tränen – immer dann, wenn das Allergen erneut auf den Körper trifft.

Autoimmunerkrankungen greifen den Körper an

Autoimmunerkrankungen hingegen sind chronisch entzündliche Prozesse. Während sich bei einer Allergie das Immunsystem gegen vermeintlich schädliche Substanzen wehrt, zerstört das Immunsystem bei einer Autoimmunerkrankung körpereigenes Gewebe, das es irrtümlicherweise als fremdartig eingestuft hat. Autoimmunerkrankungen sind nicht selten. Mittlerweile sind sie nach Herz-Kreislauf- und Tumorerkrankungen die dritthäufigste Erkrankung des Menschen. Es gibt knapp 100 verschiedene Autoimmunerkrankungen, an denen 5 – 8 Prozent der Bevölkerung erkrankt sind. Tendenz leider steigend. Weshalb unser Körper sich selbst angreift, ist noch nicht geklärt. „Die Mechanismen, die zur Auslösung von autoimmunen Erkrankungen führen, sind weitestgehend unbekannt und bis heute nicht eindeutig erforscht“, so die Deutsche Autoimmun-Stiftung. „Neben verschiedenen Umweltfaktoren, die als begünstigend gelten, deuten Ergebnisse aus der Zwillingsforschung darauf hin, dass bestimmte Gene eine Anfälligkeit für Autoimmun-Erkrankungen bedingen. Weiterhin lässt sich nachweisen, dass autoimmune Erkrankungen vermehrt als Folge von schweren Infektionen auftreten.“

Was wird angegriffen?

Man unterscheidet zwei Formen der Autoimmunerkrankungen. Bei der organspezifischen Autoimmunerkrankung bekämpft das Abwehrsystem ganz bestimmte Organe. Bekannte Beispiele sind Diabetes mellitus Typ 1. Hierbei werden die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse angegriffen, bei Multipler Sklerose die Myelinscheide der Nervenfasern, bei der Colitis ulcerosa die Darmschleimhaut oder beim Morbus Basedow die TSH-Rezeptoren der Schilddrüse.

Die zweite Form ist die systemische Autoimmunerkrankung. Hier gibt sich das Abwehrsystem nicht mit einem Organ zufrieden, es bekämpft gleich mehrere Organe – ein System von Organen. Zu den systemischen Autoimmunerkrankungen gehören zum Beispiel Rheumatoide Arthritis, Lupus erythematodes, Sklerodermie oder das Sjörgren-Syndrom.

Viele Menschen wissen häufig nicht, dass sie von einer Autoimmunerkrankung betroffen sind. Sobald die Diagnose jedoch gestellt ist, sollte unbedingt mit spezialisierten Ärzten eine Therapie in Angriff genommen werden. Denn unbehandelte Autoimmunerkrankungen können schwere Entzündungsreaktionen hervorrufen, die zu einem folgenschweren Krankheitsverlauf führen können. Petra Dettmer