Neulich, erzählt Stefanie Schneider, Personalchefin des Mittelrhein-Verlags (MRV), habe die Rhein-Zeitung einen Lokalredakteur gesucht. Auf die des MRV gab es Stellenausschreibung etliche Bewerbungen. In einer hieß es: „Mich gibt es nur im Homeoffice.“ Der Bewerber kam aus der Schweiz. „Da haben wir uns angeguckt“, sagt Schneider, und uns gefragt: ,Wie soll ein Lokalredakteur aus der Schweiz im Homeoffice für unsere Heimatausgaben arbeiten? Als die studierte Diplomwirtschaftspsychologin Anfang der 90erJahre darüber nachdachte, selbst Journalistin zu werden, wäre eine solche Bewerbung vermutlich als Affront sofort im Papierkorb gelandet. Heute ist es, wenn auch ein extremes, eben ein Beispiel für eine aus den Fugen geratenen Arbeitswelt. „Das Arbeitsleben ist auf den Kopf gestellt. Das ist nicht nur der Generation Z geschuldet, die - wie im Übrigen auch Ältere mehr Wert auf eine bessere Work-Life-Balance legen. Treiber dieser Entwicklung war vor allem Corona“, sagt Schneider.


Der Mann aus der Schweiz hat die Stelle nicht bekommen. Doch seine Bewerbung ist Symptom für eine Zeit, in der auch der MRV Fachkräfte händeringend sucht und zugleich auf immer weniger, aber auch immer anspruchsvollere potenzielle Jobbewerber trifft. „Früher hatten wir auf eine Stelle 100 Bewerbungen, heute sind es 20, wenn es gut läuft. Das hängt stark von der Stelle ab. Es wird aber immer schwieriger. Die Zahl der Bewerber ist heute manchmal nur noch handverlesen.“ Wie geht ein Verlag mit einer Arbeitswelt um, die Kopf steht?
Auf diese Frage gibt es mindestens zwei große Antworten. Die erste lautet: Man hält sich die warm, die man schon für sich gewinnen konnte, die vielleicht schon seit Jahrzehnten oder wie Schneider erst seit kurzem für den MRV arbeiten. Die zweite lautet: Man erwärmt Fachkräfte für den MRV.
Als die gebürtige Westfälin vor knapp zwei Jahren beim MRV anheuerte, machte die neue Personalchefin eine Istanalyse, identifizierte Aktionsfelder, wie es neudeutsch heißt. Die Erkenntnis: Das Durchschnittsalter der Mitarbeitenden beträgt 45 Jahre, es gibt eine Lücke bei den 30bis 40-Jährigen und: Die Herausforderung ist heute, dass wir bis zu vier Generationen in einem Betrieb haben - Babyboomer, Generation X, Y, Z. Die Kunst ist, alle auf der Reise mitzunehmen, nicht nur bei der Digitalisierung, einem unserer derzeit wichtigsten Projekte in der gesamten Unternehmensgruppe. Wir müssen die Bälle der vier Generationen in der Luft behalten.“
Es gilt also auch, Mitarbeiter auf der Reise nicht zu verlieren. Gerade bei der Digitalisierung ist das ein Problem, korrigiere: eine Herausforderung. „Das ist kein grundsätzliches Problem, sonder der einzelnen Person. Es ist nicht am Alter festzumachen. Es ist eine Frage des Wollens und Könnens. Jemand, der will, geht jeden Weg mit, wenn ich ihn begleite. Wenn er das will, kann er es auch können.“

Doch Stefanie Schneider hat eher weniger Sorgen, Beschäftigte bei der ohnehin alternativlosen Digitalisierung zu verlieren. Viel kritischer sind für sie biografische Übergänge, Schwellen des Lebens wie das Ende der Ausbildung, Eheschließung, Familiengründung, der Moment, wenn die Kinder das Haus verlassen und oft Frauen noch einmal durchstarten wollen, oder die nahende Rente. „Die Kunst ist, für jeden Mitarbeitenden in jedem Lebenszyklus ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Wir nennen es Demografiemanagement. Ich arbeite sehr stark daran, dass unsere Angebote vielfältiger werden und wir mehr in Richtung Individualisierung gehen.“
Als Beispiele nennt sie: die Möglichkeit, zwei Tage pro Woche mobil arbeiten zu können, Gesundheits- und Fitnessangebote, die Förderung einer gesunden Emährung durch das Betriebsbistro, aber auch Teilzeitmöglichkeiten für frische Eltern oder angehende Rentner. Sogar eine Teilzeitausbildung für sehr junge Eltern biete der MRV an. Man helfe bei der Kitaplatzsuche oder unterstütze bei der Suche nach einer Immobilie. Für fertige Azubis gebe es die Möglichkeit, finanzielle Hilfe bei der Aufnahme eines dualen Studiums zu bekommen.
Wissen ist auch für eine moderne Personalchefin heute Macht. Anders ausgedrückt, können Schneider und die Abteilungsleiter des MRV ihre Beschäftigten nur halten, wenn sie wissen, welche Themen sie gerade beschäftigen oder anstehen. „Daher führen wir zunächst in einem Bereich, der rz-Media, derzeit flächendeckende, strukturierte Mitarbeitergespräche ein, die einmal pro Jahr stattfinden.
Für uns als Arbeitgeber geht es darum, ein Ohr am Mitarbeiter zu haben, damit ich weiß, was ich ihm anbieten kann. Diese Mitarbeitergespräche wollen wir auf die gesamte Unternehmensgruppe ausbreiten. Das soll zum Standard werden. Die Mitarbeiter, die jetzt schon in den Genuss dieser Gespräche kommen, sind total begeistert. Das ist eine Höchstform der Wertschätzung.“


Wertschätzung ist für Schneider auch eine wichtige Währung im Wettbewerb um die immer rarer werdenden Fachkräfte. Schwierig sei es unter anderem, Vertriebsexperten für die rz-Media zu gewinnen. Gleiches gelte für gute Redakteure - „wobei wir immer noch ein gutes Standing und ein Alleinstellungsmerkmal als lokales Qualitätsmedium haben“. Und in der IT? Da suchen wir aktuell glücklicherweise nicht, das wäre aber eine Katastrophe.“
Denn gerade hier, aber auch in anderen Bereichen sei der Druck groß, um Fachkräfte mit viel Geld zu buhlen. Doch Schneider betont: „Es ist die Kunst, das Gefüge mit Blick auf gesuchte Bewerber im Blick zu behalten. Das gelingt uns noch gut, indem wir sehr erfinderisch bei weichen Faktoren sind. Da gibt es einige Stellschrauben, an denen wir drehen können.“
Wenn die Arbeitswelt Kopf steht, dann braucht auch eine Personalchefin neue, andere Ideen, um Bewerber anzulocken. „Ich muss täglich Menschen zusammenbringen, sie auf einer Reise mitnehmen und inspirieren. Personalmanagement ist People Management. Ich bin jemand, die täglich Ideen hat, was wir noch besser oder anders machen können.“ Eine ihrer Ideen ist, dass die Führungskräfte des MRV stärker in Projekten denn in Stellenplänen denken. Daraus könnten sich dann auch andere Arbeitszeitmodelle entwickeln oder ein Mehr an mobiler Arbeit entstehen. Allerdings betont sie: „Ich bin ein Gegner von 100 Prozent Homeoffice. Es schadet der Innovationsgeschwindigkeit und Mitarbeiterbindung.“
Ob sich das Fachkräfteproblem mit Blick auf den MRV durch Zuwanderung lösen lässt, sei vom Einzelfall abhängig. „Wir machen zum Beispiel erste gute Erfahrungen mit Mitarbeitern aus der Ukraine.“ Wichtiger sei es, dass durch eine bessere staatlich geförderte Kinderbetreuung die Teilzeitquote unter Frauen gesteigert wird. Außerdem setzt sie auf Inklusion - , das ist ein extrem wichtiges Thema“. Und sie redet mittlerweile schon weit vor der Rente mit Mitarbeitenden, ob sie sich auch im Ruhestand vorstellen können, weiter für den MRV zu arbeiten. „Und mit Azubis sprechen wir schon im ersten Ausbildungsjahr und geben jenen eine 100-prozentige Übernahmegarantie, die sich gut machen. Beim jüngsten Jahrgang ist es uns gelungen, alle Azubis zu übernehmen. Dabei unterstützen wir auch sehr kreuz und quere Laufbahnen.“ Allein, selbst eine Welt, die Kopf steht, kennt Grenzen. Nicht nur für einen Bewerber aus der Schweiz. Christian Kunst