Vielerorts ist zurzeit zu hören, dass die Welt immer mehr zu einem Zirkus wird. Gemeint ist natürlich, dass viele Dinge, die uns die Nachrichten zeigen, unbegreiflich sind und dass alles drunter und drüber zu gehen scheint. Ungläubig, zweifelnd, irritiert und verstört stehen wir da, mit offenen Mündern.
Ich glaube, dass wir dem Zirkus mit diesem Vergleich Unrecht tun. Ja, auch dort stehen uns teils die Münder offen, aber vor staunender Begeisterung. In der Manege sehen wir Menschen, die eine Begabung haben und diese mit viel Schweiß, Tränen und Disziplin zur Perfektion gebracht haben. Angetrieben von dem Wunsch, Menschen zu faszinieren, zu verzaubern, zu überraschen und den Atem zu rauben, ein Fenster in eine andere Welt zu öffnen und Freude zu schenken.

Das hat für mich nicht viel mit dem zu tun, was ich an vielen Stellen in der Welt beobachten kann. Da geht es um den schnellen Erfolg, möglichst ohne viel Anstrengung, um viel Scheinwerferlicht, ohne zu überlegen, was bzw. wer eigentlich wichtig ist, um kurzfristigen Aktionismus, ohne die Folgen konsequent zu Ende zu denken und um den Schutz bequemer Komfortzonen, ohne sich an einem langfristigen Ziel zu orientieren. Lauter Individualisten, die übersehen, dass ihre Einzigartigkeit erst durch das Einbringen in die Gemeinschaft wirklichen Wert bekommt.
Die Zirkusfamilie ist offen für jeden, der sich einbringen möchte. Dazu ist es entscheidend, zunächst herauszufinden, was ich besonders gut kann bzw. den Raum zu schaffen, um mich auszuprobieren. Dabei ist Scheitern erlaubt, sogar erwünscht. Beispielsweise ist die Erfahrung unter der Zirkuskuppel, dass ich Höhenangst habe und daher die Nachfolge in der Familientradition der Hochseilartistik lieber jemand anderem überlassen sollte, ein wichtiges Fundament, um den eigenen Weg zu finden.
Niemand kann alles oder alles gleich gut. Der Zirkus ist ein eingespieltes Miteinander mit dem Verständnis dafür, dass jede/r Einzelne wichtig ist und einen Beitrag zum Gesamterlebnis leistet: Clowns, Dompteure, Akrobaten, Jongleure, Tierpfleger, Zeltbauer, Ticketverkäufer und viele mehr. Man verlässt sich aufeinander, unterstützt sich und motiviert sich gegenseitig. Nur so entsteht ein unvergleichliches Ergebnis.
Für mich ist der Zirkus ein Ort, an dem ich staunen kann, der mich fasziniert, teilweise die Grenzen meiner Vorstellungskraft verschiebt und eine Sehnsucht weckt. Eine Sehnsucht nach gegenseitiger Wertschätzung, Leistungsbereitschaft und dem Wunsch, mit dem eigenen Beitrag etwas Besonderes zu gestalten. In diesem Sinne wünschte ich mir, die Welt wäre wirklich mehr wie ein Zirkus!
Ihre
Katharina Schlag
Geschäftsführerin Wirtschaftsförderung Kreis Westerwald