Letzter Laden, lange Wege

Der ländliche Handel kämpft ums Überleben

25. Juni 2025
Letzter Laden, lange Wege

Mit Engagement und Nähe zum Kunden trotzt der Einzelhandel vor Ort dem Wandel - oft auch als Treffpunkt im Ort unverzichtbar. Foto: Robert Kneschke - stock.adobe.com

Es beginnt mit dem Metzger. Dann schließt der Bäcker. Und irgendwann bleibt auch der letzte Laden im Ort dunkel. Der schleichende Rückzug des stationären Einzelhandels ist im Rhein-Lahn-Kreis vielerorts Realität – mit Folgen für die Lebensqualität, die Standortattraktivität und die wirtschaftliche Vielfalt. Dabei ist es längst nicht zu spät. Neue Ansätze für die Nahversorgung setzen auf regionale Zusammenarbeit, kreative Formate und digitale Chancen. Doch um den Trend zu brechen, müssen alle Akteure mitziehen.

Der Einzelhandel im ländlichen Raum steht unter Druck, was auch für den Rhein-Lahn-Kreis gilt. Ortskerne verlieren ihre Anziehungskraft, Ladenlokale stehen leer und viele Geschäftsmodelle rechnen sich nicht mehr. Die Gründe dafür sind vielfältig: verändertes Kaufverhalten, Online-Konkurrenz, Fachkräftemangel und steigende Betriebskosten. Hinzu kommen demografische Veränderungen: eine ältere Bevölkerung, weniger Laufkundschaft und zunehmende Mobilitätsprobleme. 

Besonders betroffen sind kleinere Gemeinden, in denen das nächste Lebensmittelgeschäft oft mehrere Kilometer entfernt liegt. Für ältere Menschen ohne Auto wird der Wocheneinkauf so zur logistischen Herausforderung. Gleichzeitig kämpfen Händler mit sinkender Frequenz und fehlender Nachfolge. In vielen Fällen gibt es zwar Interessenten, aber keine Perspektive.

Lebendige Ortskerne brauchen Handel

Doch es geht nicht nur ums Einkaufen. Der lokale Handel ist ein zentraler Bestandteil der sozialen Infrastruktur. Bäckereien, Apotheken, Friseure und Blumenläden sind Begegnungsorte und Ankerpunkte im Alltag. Wo sie verschwinden, verliert die Gemeinde ein Stück Identität – und der Standort an Attraktivität, auch für Zuzügler oder Fachkräfte.

In Gesprächen mit der Wirtschaft wird deutlich: Die Sorge um die Handelslandschaft ist groß. Viele Unternehmer fordern neue Konzepte – nicht als nostalgische Rettungsversuche, sondern als zukunftsfähige Modelle, die sich wirtschaftlich tragen.

Einzelhandelskonzepte für ganze Regionen

Ein wichtiger Ansatzpunkt ist die regionale Planung. Die Idee: Auf Verbandsgemeindeebene werden Einzelhandelskonzepte entwickelt, die mit den Nachbarregionen abgestimmt sind und bei denen alle Akteure eingebunden werden. Das Ziel besteht darin, die Nahversorgung strategisch zu sichern, beispielsweise durch gezielte Standortentwicklung, Unterstützung bei der Nachfolgersuche, kombinierte Angebote (Post, Café und Lebensmittel) oder temporäre Verkaufsformate wie mobile Läden.

Darüber hinaus könnten Gewerbevereine, Wirtschaftsförderung und Kommunen enger zusammenarbeiten, beispielsweise durch eine abgestimmte Terminierung verkaufsoffener Sonntage, gemeinsame Veranstaltungen oder einen gemeinsamen Online-Marktplatz. Solche Kooperationen stärken die Sichtbarkeit des lokalen Handels und verhindern Konkurrenz „Tür an Tür“.

Die Digitalisierung kann eine Überlebenshilfe sein, kein Gegner

Viele Einzelhändler sehen im Onlinehandel eine Bedrohung und übersehen dabei die Chancen. Regionale Plattformen, digitale Bestell- und Abholdienste, smarte Kundenbindungsprogramme oder Social-Media-Marketing können dabei helfen, Kunden zurückzugewinnen.

Dabei geht es nicht darum, Amazon zu kopieren, sondern um eine kluge Ergänzung: Wer etwa online bestellt und vor Ort abholt, sorgt für mehr Kundenfrequenz. Wer regionale Gutscheine digital verfügbar macht, stärkt die lokale Wirtschaft. Beispiele aus anderen Regionen zeigen, wie erfolgreich solche Lösungen sein können, wenn sie professionell umgesetzt und zentral koordiniert werden.

Neue Formate für neue Bedürfnisse

Auch jenseits des klassischen Einzelhandels entstehen neue Ideen: Dazu gehören Dorfläden in Bürgerhand, Pop-up-Stores für saisonale Angebote, Kooperationsläden mehrerer Anbieter und Wochenmärkte mit regionalen Produkten. All das kann funktionieren – wenn Standort, Sortiment und Organisation stimmen.

Besonders spannend ist das Modell multifunktionaler Dorfzentren, an denen Einkauf, Dienstleistungen, Kultur und Begegnung miteinander verbunden werden. Manchmal werden diese Angebote um Coworking-Angebote, Paketstationen oder digitale Services ergänzt.

Der Handel braucht Ehrenamt und Engagement

Doch selbst die besten Konzepte brauchen Menschen, die sie tragen. Gewerbevereine, Händlerinitiativen und engagierte Bürger sind daher unverzichtbar. Gerade im ländlichen Raum ist der Handel auf ehrenamtliche Strukturen angewiesen, sei es für die Organisation von Events, das Marketing oder die Weiterentwicklung von Ideen.

Die Wirtschaft fordert mehr Unterstützung durch Kommunen – finanziell, organisatorisch und kommunikativ. Denn wer Nahversorgung erhalten will, muss sie aktiv gestalten.

Kein Rückzug auf Raten

Was im Rhein-Lahn-Kreis jetzt gebraucht wird, ist ein klarer Kurs: Die Kommunen müssen den Erhalt des lokalen Handels als strategisches Ziel begreifen. Das heißt: Flächenentwicklung muss gezielt gesteuert, Leerstände müssen offensiv angegangen, neue Betreiber müssen gewonnen, Förderprogramme müssen genutzt und digitale Lösungen müssen eingebunden werden.

Die Wirtschaft ist bereit, ihren Teil beizutragen. Doch ohne gemeinsame Strategie droht ein Rückzug auf Raten – mit Folgen für den ganzen Standort.