Dr.-Ing. Horst Lenz, Präsident der Ingenieurkammer Rheinland-Pfalz, spricht über das Bewährte und die Veränderungen in seinem Berufsstand. Das Wissen von Ingenieuren wird praktisch in allen Lebensbereichen gebraucht. „Infrastruktur, Produktentwicklung, Energiewende oder Nachhaltigkeit sind nur einige wenige Beispiele, die ohne die von Ingenieuren entwickelten neuen Technologien stillstehen würden“, sagt Dr. Horst Lenz, seit 2010 Präsident der Ingenieurkammer Rheinland-Pfalz. Er ist fest davon überzeugt, dass die bewährte deutsche Ingenieurskunst ein zentraler Faktor sein wird, um die Wirtschaft aus ihrer aktuellen Schwächephase heraus zu führen. "Made in Germany“ sei in der Welt immer noch gefragt und gelte als Gütezeichen mit Strahlkraft. Deutschland verfüge nach wie vor über viele kluge Köpfe. In Forschung und Entwicklung spiele die Nation unverändert ganz vorn mit, sagt Lenz. Er erinnert an Konrad Zuse, der mit seiner Z3 im Jahr 1941 einen der ersten funktionsfähigen Computer der Welt erfand. Zuse war Unternehmer und Erfinder, aber auch Bauingenieur. Ein Beleg dafür, dass der Spruch ,Ein Ingenieur hat immer eine Lösung' durchaus seine Berechtigung habe.
Aber das Land dürfe sich nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen, meint Lenz. „Die Konkurrenz schläft nicht. Gerade die Wettbewerber in Asien und speziell in China haben sich nicht zuletzt dank massiver staatlicher Unterstützung kontinuierlich nach oben gearbeitet.“ Kopfzerbrechen bereiten dem Präsidenten die vielen bürokratischen Fesseln, die die Kreativität und Innovationsfreude der Ingenieure hierzulande lähmen Deutschland befinde sich eher in einer Phase des Bürokratieaufbaus. So habe im August des vergangenen Jahres die simple Streichung eines Halbsatzes in der Vergabeverordnung (VGV) durch den Gesetzgeber dazu geführt, dass auch bei kleinen Bauvorhaben europaweite Ausschreibungen notwendig werden. Nun müssen grundsätzlich alle ausgeschriebenen Planungsleistungen bei öffentlichen Vergabeverfahren addiert werden. Dies hat zur Folge, dass der Schwellenwert für die europaweite Ausschreibung von Planungsleistungen (215.000 Euro) deutlich früher als bisher überschritten wird. „Bisher lagen etwa 34.000 Vergabeverfahren in Deutschland unter diesem Schwellenwert“, rechnet Lenz vor. „Wir müssen jetzt davon ausgehen, dass durch die addierten Planungsleistungen, die in vielen Fällen gar nichts miteinander zu tun haben, etwa 17 000 dieser Vergabeverfahren europaweit ausgeschrieben werden müssen. Ein enormer zusätzlicher Aufwand, der auch noch mit erheblichen Kosten verbunden ist.“ Lenz verdeutlicht den Bürokratieaufwand am Bau einer Kläranlage.
Früher waren die Objektplanung, die Maschineninstallation, die Statik der Becken und die Geotechnik als Ingenieursleistungen einzeln zu betrachten. Heute sind sie laut gesetzlicher Vorschrift zu addieren und rutschen damit über den europäischen Schwellenwert von 215.000 Euro. Die Folge: Ein großer Aufwand für das europäische Vergabeverfahren, insbesondere für Anbieter, die am Ende leer ausgehen, und zusätzliche Kosten für den Auftraggeber zwischen 8.000 und 30.000 Euro, je nach Objekt.

Nach Auffassung von Lenz ist die Bürokratie nicht das einzige Hemmnis, unter dem das deutsche Wirtschaftswachstum leidet und das Ingenieure bisweilen verzweifeln lässt. "Auch die Dauer der Genehmigungsverfahren wirft uns zurück“, sagt Lenz. Er erinnert daran, dass die Planungen für den Hochmoselübergang zwischen dem Autobahnkreuz Wittlich und Longkamp 1971 begannen, die Neubaustrecke aber erst im November 2021 in Betrieb genommen wurde. Ähnlich lang sei bis heute über die Rheinquerung bei St. Goar oder den Lückenschluss der A1 in der Eifel diskutiert worden. „Das technische Können, Planungen zügig in die Tat umzusetzen, haben unsere Ingenieure. Das Problem entsteht in der Zeit davor. Die Vielzahl von Vorschriften, Auflagen und Genehmigungshürden verzögern sinnvolle Projekte um Jahre. Das ist auch mit Blick auf die marode Infrastruktur in Deutschland und den Investitionsstau ein wirkliches Ärgernis“, sagt er. Andere Nationen machen uns vor, wie es gehen kann. Die im August 2018 eingestürzte Brücke von Genua ist in nur 18 Monaten, inklusive des Abtrags von Trümmerteilen der alten Brücke, über eine Länge von mehr als 1.000 Metern durch ein neues Bauwerk ersetzt worden. Für die Zukunft macht Lenz vor allem Sorge, dass in den Ingenieurberufen nicht genügend Fachkräfte nachwachsen. Der demographische Wandel sei im vollen Gange und werde sich mit dem Ausscheiden der Babyboomer-Generation aus dem Erwerbstätigenmarkt weiter verschärfen. Deshalb wird auch der Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland gebraucht. Technische Neuerungen, wie beispielsweise der Einsatz von KI, wird uns Ingenieure beider Zuarbeit entlasten, aber sie wird unser Wissen und Können nicht ersetzen.“ Nach Schätzungen der Ingenieurkammer werden bei schwach laufender Wirtschaft in Deutschland bis 2029 etwa 84.000 Ingenieure fehlen. Bei einem starken Anziehen der Wirtschaft könnte sich diese Lücke sogar auf 390.000 fehlende Ingenieure vergrößern. Hoffnung setzt Lenz darauf, dass die Auffassung, Ingenieurberufe seien eine Männerdomäne, immer mehr verblasse. „Diese Fehleinschätzung haben wir langsam, aber sicher überwunden. Die Steigerungsraten zwischen 2012 und 2022 machen uns Mut. In dieser Zeit hat die Zahl der Frauen in Ingenieurberufen um mehr als 30 Prozent zugenommen.“
Die jüngsten Zahlen zum bundesweiten Wettbewerb Junior ING, der Schülerinnen und Schüler an die Ingenieurberufe heranführt, bestätigt das. Der Zulauf von Schülerinnen steigt beständig. Lenz sieht auch auf dem Gebiet Bildung dringenden Handlungsbedarf. „Investitionen in die Bildung sicher unsere Zukunft. Da könnte und müsste noch viel mehr getan werden. Dazu zählen Maßnahmen, die die MINT-Fächer attraktiver machen, aber auch höheres BAföG und Erleichterungen bei der Erteilung.“ Damit sichere sich der Staat nicht nur die Steuerzahler von morgen, sondern sorge auch dafür, dass das Freiberuflertum als wichtige Säule der Wirtschaft keinen Schaden nehme. Hans-Rolf Goebel