Wer mit Wollny spricht, hört kein Marketingsprech. Die 31-Jährige, die gebürtig aus Katzweiler bei Kaiserslautern kommt, sagt Sätze wie: „Eine gesunde Natur ist zentral für die Zukunft unseres Unternehmens. Die Kosten, die wir tragen müssen, wenn der Klimawandel so weitergeht, werden deutlich höher sein, als wenn wir frühzeitig investieren. Denn wenn gesunde, sichere Rohstoffe nicht mehr da sind, kann unser Geschäft so nicht weitergehen.“ Oder: „Es ist immer eine Gratwanderung, was man kommuniziert. Wir kommunizieren über alle unsere Tätigkeiten, auch über die, bei denen wir noch nicht so gut sind. Wir wussten schon vor der Energiekrise, dass es eine riesige Herausforderung ist, einen grünen Ersatz für Gas zu finden.“
Der Snackhersteller hat erste Alternativen gefunden: An den Werken im bayerischen Neunburg und im polnischen Stanowice entstehen jetzt in Biogasanlagen und Blockheizkraftwerken aus Schalenresten und anderen Abfallprodukten Biogas, Wärme oder Strom. Im niedersächsischen Hankensbüttel kommt ein Teil des Stroms für das dortige Werk seit Juli aus einer Fotovoltaikanlage. Bis 2045 will Lorenz bei all seinen Aktivitäten weltweit eine Nettonull bei den CO2-Emissionen erreicht haben – so wie es die Bundesregierung für Deutschland als Zielmarke definiert hat und die EU in ihrem Green Deal bis 2050. Bis 2030 will Lorenz die Emissionen an den eigenen Standorten um 50 Prozent senken. „Bis Ende 2021 konnten wir schon eine Reduzierung um 27,3 Prozent bei den energiebedingten Emissionen verglichen mit 2019 erreichen. Die Umstellung auf Ökostrom war der größte Hebel.“ Nachhaltig will der Familienbetrieb auch mit Blick auf seine Kunden werden: Der Salzgehalt der Snacks soll bis 2025 um 15 Prozent sinken. Längst gibt es auch vegane und vegetarische Produkte. An seinen Verpackungen möchte Lorenz ebenfalls arbeiten. Bis 2025 soll der Kunststoffverbrauch bei Primärverpackungen um 15 Prozent sinken, die Materialien sollen dann zu 100 Prozent recyclingfähig sein. Das alles steht im Nachhaltigkeitsbericht, den Wollny und ihre Mitstreiter 2021 erstmals veröffentlicht haben.
Noch ist der Snackhersteller nicht dazu verpflichtet, einen solchen nicht finanziellen Report zusätzlich zu seinem Geschäftsbericht zu veröffentlichen – bislang gilt dies laut EU-Recht nur für kapitalmarktorientierte Firmen, Finanzinstitute und Versicherungen mit mehr als 500 Mitarbeitern. Die „Corporate Sustainability Reporting Directive“, kurz CSR-Richtlinie (Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen), die im Dezember in Kraft tritt, weitet die Berichtspflicht aber sukzessive auf Unternehmen auch ohne Kapitalmarktorientierung mit mehr als 250 Mitarbeitern aus. Außerdem gibt es künftig detailliertere Berichtspflichten. Große Unternehmen werden dann verpflichtet sein, Informationen zu Nachhaltigkeitsfragen wie Umweltrechten, sozialen Rechten, Menschenrechten und Governance-Faktoren – die sogenannten ESG-Faktoren – zu veröffentlichen. „In Zukunft wird die Nachhaltigkeit eines Unternehmens aber Teil der finanziellen Berichterstattung sein“, prognostiziert Prof. Katharina Spraul, die an der TU Kaiserslautern einen Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeitsmanagement innehat. „Denn nicht finanzielle Faktoren sind oft Vorläufer von finanziellen Folgen.“ Bestes Beispiel sei der Energiepreisschock infolge des Ukraine-Kriegs. Unternehmen, die bereits vor 2022 auf erneuerbare Energien gesetzt hätten, seien jetzt im Vorteil. Denn: „Zu hohe Energiepreise können in die Insolvenz führen.“ Viele Studien zeigen laut Spraul: „Ein Nachhaltigkeitserfolg führt in einem fairen Umfeld zum Unternehmenserfolg. Nachhaltigkeit zahlt sich für Firmen also langfristig aus.“ Sie müsse sich aber auch kurzfristig rechnen. „Warum zahlen Unternehmen, die nachhaltig vorangehen, die gleichen Steuern wie Nachzügler? Wir dürfen die Langsamen nicht belohnen.“


Doch vieles regelt auch der Markt selbst. Das hat Miriam Wollny, die 2016 ihren Master in Nachhaltigkeitsmanagement bei Prof. Spraul abgeschlossen hat, in ihrem ersten Job beim Finanzdienstleister Union Investment erlebt. Schon damals hätten besonders institutionelle Anleger bevorzugt in nachhaltige Fonds investiert, die bestimmte Branchen wie den Waffen-, Glücksspiel- oder Alkoholsektor ausgeschlossen hätten. Wollny war damals für die Nachhaltigkeit von Dienstleistern wie Caterern, Reinigungskräften oder der Pforte zuständig. „Vielen Unternehmen ist bewusst geworden, dass sie nur überlebensfähig sind, wenn sie nachhaltig denken, dass sie ansonsten von Konkurrenten abgehängt werden oder nicht mehr den Ansprüchen der Kunden gerecht werden könnten. Es ist auch eine Art Risikominimierung. Man muss sich bewusst sein: Es wird das Unternehmen vielleicht langfristig so nicht mehr geben, wenn man nicht handelt und es der Umwelt und den Menschen nicht gut geht.“ Ein eindrückliches Beispiel ist die Rana-Plaza-Katastrophe im Jahr 2013, als bei dem Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch mehr als 1000 Menschen starben und mehr als 2000 verletzt wurden. „Da wurde uns auf erschreckende Weise vor Augen geführt, dass das billige Produzieren von Textilien irgendwo in der Welt seinen Preis hat – das Leben der Textilarbeiter“, sagt Spraul. Für sie ist die Katastrophe eine wichtige Keimzelle für das Nachhaltigkeitsmanagement in Unternehmen und das Lieferkettengesetz von 2021, das erstmals menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für deutsche Unternehmen mit mehr als 5000, ab 2024 auch für jene mit mehr als 1000 Mitarbeitern festschreibt.
Kein Wunder also, dass das Durchleuchten von Lieferketten bei Lorenz ein großes Thema ist. Während sich andere Kollegen aus dem Team schwerpunktmäßig um die sozialen Nachhaltigkeitsaspekte (People) wie Menschenrechte oder Ernährung und Gesundheit kümmern, obliegt Wollny in Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen der Bereich Planet, sprich der gesamte Umweltbereich. Dort stellt sie etwa sicher, dass Papiermaterialien wie Kartonagen aus einer nachhaltigen Lieferkette bezogen werden. Dies werde jährlich zertifiziert und von externen Prüfern auditiert. Und ihr Fokus liegt auf dem Ressourcenverbrauch, „das heißt eine CO2-Messung entlang unserer gesamten Wertschöpfungskette“ – von den Äckern der Hunderten rund um die Produktionsstätten verteilten Kartoffelbauern über die Dienstwagen bis hin zum Vertrieb. Genaue Zahlen über den Ressourcenverbrauch bei Gas,Wasser,Weizen, Kartoffeln oder Nüssen will Wollny auf Nachfrage nicht nennen – Transparenz hat eben auch ihre Grenzen. Sie erwähnt nur Schlaglichter: Bei den außerhalb der EU angebauten Nüssen seien die Menschenrechte ein großes Thema, zum Frittieren setze Lorenz nur noch auf Sonnenblumen- und Rapsöl statt Palmöl. Dieses komme in nachhaltiger Form nur noch in geringen Mengen in Aromen vor. Und zur angepeilten Nettonull sagt sie: „Das ist ein enorm ambitioniertes Ziel. Das können wir gar nicht allein erreichen, nur zusammen mit unseren Lieferanten und Partnern.“
Das geht nicht ohne Widerstände. Prof. Spraul hat Nachhaltigkeitsmanager befragt, wie sie Zweifler oder Bremser überzeugen. „Sie haben verschiedene Schubladen, aus denen sie ihre Argumente ziehen. Profitabilität ist eine – Nachhaltigkeit, lautet das Argument, ist wichtig, um neue Märkte zu erschließen und um Umsätze zu steigern oder zu halten.“ Doch dies ist beileibe nicht die einzige. Eine andere lautet: „Die Gesellschaft, die Mitarbeiter, die Kunden erwarten das von uns.“ Auch eine Rationalisierungsstrategie gebe es, mit dem Motto: „Nachhaltigkeit gehört zum Standard. Es ist in Unternehmen total normal, das zu tun.“ Ein anderes Argument laute: „Das hat der Vorstand so entschieden.“ Tatsächlich, sagt Spraul, ist es enorm wichtig, dass „der Vorstand sich explizit für die Nachhaltigkeit des Unternehmens einsetzt.“ Zahlen wie CO2-Äquivalente oder Fakten wie das Ziel der Klimaneutralität sind für Nachhaltigkeitsmanager wichtige Helfer. „Nachhaltigkeit darf keine Wolke bleiben, sie muss messbar und versachlicht werden“, sagt Spraul. „Zugleich müssen Nachhaltigkeitsmanager aber in starkem Maße mit Menschen kommunizieren, ihren Blickwinkel einnehmen und ihnen die Angst vor Veränderung nehmen.“
Als Miriam Wollny bei Lorenz begann, hat sie zunächst eineinhalb Jahre als Trainee gearbeitet, war in drei Werken, stand sogar an der Produktionslinie. „Das war enorm wichtig, weil ich da die Mitarbeiter kennengelernt habe, deren Unterstützung ich heute brauche. Von der Uni kommt man mit der Hoffnung, was man alles Gutes tun könnte. Im Job muss man sich ein dickes Fell anlegen. Rückschläge gibt es. Mein Idealismus ist aber noch vorhanden. Den braucht man auch. Jeden Tag.“ Lorenz – ein nachhaltiges Unternehmen? Dieses Ziel braucht einen langen Atem. Christian Kunst
Eine Mammutaufgabe für die deutsche Wirtschaft


Viele Wege führen zum Ziel – das gilt auch für den Beruf des Nachhaltigkeitsmanagers. „So vielfältig das Berufsbild ist, so vielfältig sind auch die Karrierepfade“, sagt Prof. Katharina Spraul vom Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Sustainability Management in Kaiserslautern. Dort kann man wie an anderen Hochschulen nach einem Bachelor in Betriebswirtschaftslehre oder Wirtschaftsingenieurwesen Nachhaltigkeitsmanagement im Master vertiefend studieren. Es ist aber laut Spraul auch möglich, an einigen Universitäten schon bei Bachelorstudiengängen wie Abfallwirtschaft, Städtebau oder erneuerbare Energien Nachhaltigkeitsmanagement als Add-on zu studieren. Quasi auf dem zweiten Bildungsweg nach einem Erststudium bieten manche Unis einen MBA im Nachhaltigkeitsmanagement an. Vorreiter bei dieser Thematik ist die Leuphana-Universität in Lüneburg. Hinzu kommen Weiterbildungen zum CSR (Corporate Social Responsibility)-Manager unter anderem an vielen Industrie- und Handelskammern. So bietet etwa die IHK-Akademie Koblenz in diesem Herbst Onlineseminare zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und im nächsten Jahr Onlinezertifikatskurse zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement an.
Das Thema Nachhaltigkeitsmanagement kommt erst langsam im deutschen Mittelstand an. Während es bei großen Unternehmen in der Region wie der Debeka in Koblenz oder der Bitburger-Brauerei längst zum Firmenalltag gehört, erkennen mittelgroße Unternehmen erst nach und nach die Brisanz des Themas für die eigene Zukunftsfähigkeit. Joachim Raschke von der IHK Nürnberg für Mittelfranken geht davon aus, dass im Jahr 2021 noch in weniger als 5 Prozent der mittelständischen Unternehmen CSR-Verantwortliche etabliert waren. Der Betriebswirtschaftsprofessor René Schmidpeter, der an der privaten IU Internationale Hochschule Nachhaltigkeitsmanagement für Betriebswirte lehrt, sieht die Wirtschaft beim Umbau zu Klimaneutralität und Nachhaltigkeit vor einer Mammutaufgabe: „Dazu müssen wir in den nächsten drei bis fünf Jahren 50 Prozent unserer weltweiten Managerinnen und Manager ,reskillen' – also weiter- und umbilden. Das bisherige Nachhaltigkeitsverständnis in Firmen ist oft so: ein bisschen Risikomanagement, ein bisschen PR, ein bisschen Grün.“ Das reicht laut Schmidpeter nicht mehr. „Denn nicht nachhaltige Geschäftsmodelle wird es absehbar in einigen Jahren vielfach nicht mehr geben.“ ck/dpa