„Totensonntag. Gleichzeitig wird ein Mensch geboren. Hausgeburt.“ So beginnt der Klappentext über den Autor Andreas Stahl. Ein ebenso geheimnisvoller wie passender Einstieg für sein neuestes Buch. Bereits das Cover vermittelt eindrucksvoll, worum es in seinem dritten Werk geht: um Orte, die von der Zeit vergessen scheinen und doch voller Geschichten stecken.

Nach seinem ersten Buch „Glücksorte im Westerwald“ und einer weiteren Veröffentlichung über besondere Wasserorte, fand Stahl mit „Lost & Dark Places Westerwald“ eine ganz andere Perspektive auf die Region. 33 vergessene, verlassene und unheimliche – oder unheimlich faszinierende – Orte hat er aufgespürt. Sie erzählen von Geschichte, Vergänglichkeit und den Spuren, die Menschen hinterlassen.
Verlorene Orte mit spannender Geschichte
Ein „Zuckerhut“ zum ‚Zähneausbeißen‘ in Limburg, der „hohle Zahn“ in Berzhahn, die Tragödien von Dornburg oder gar Massenmord in Haiger – die Kapitelüberschriften machen neugierig auf die verborgenen Plätze, die Stahl für sein Buch dokumentiert hat. 31 der insgesamt 33 Orte hat er selbst fotografiert und so ihre besondere Atmosphäre eingefangen.
Wer ist Andreas Stahl?
Andreas Stahl wurde im November 1965 in unmittelbarer Nähe zur Fuchskaute, der höchsten Erhebung des Westerwaldes, geboren. Nach seiner Schulzeit absolvierte er eine Ausbildung in der Kommunalverwaltung und studierte anschließend Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Gießen. Seine beruflichen Stationen führten ihn nach Lüneburg, Königstein (Taunus), Wiesbaden und Frankfurt. Später folgte ein weiteres Studium der Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld. Im Anschluss fand er eine Anstellung als Referent im Gesundheitswesen, diese führte ihn nach Königswinter. Weitere Arbeitsstellen brachten ihn nach Wiesbaden und Frankfurt am Main.
Doch neben der strukturierten beruflichen Laufbahn schlummerte in ihm schon immer eine kreative Ader, die er lange nicht auslebte. Erst mit der Zeit löste er sich von vertrauten Mustern und entdeckte seine Leidenschaft für das Schreiben und Fotografieren. Er beschreibt es so: „Ich spürte und wusste, dass meinem Leben etwas fehlt.“ Durch positive Rückmeldungen ermutigt, fand er seinen eigenen Stil und schärfte seinen Blick für außergewöhnliche Wort-Bild-Kombinationen.
Wie entstand die Idee für das Buch?
Wie so oft im Leben spielte der Zufall eine Rolledabei.
„Das Thema hat mich gefunden“, sagt Stahl. Auf der Frankfurter Buchmesse kam er mit dem BRUCKMANN Verlag ins Gespräch. Dieser fragte ihn, ob er sich mit Lost Places im Westerwald auskenne und sich vorstellen könne, ein Buch darüber zu schreiben. Eine spontane Entscheidung war nicht nötig – die Idee faszinierte ihn sofort.
Nach zwei erfolgreichen Büchern über Glücksorte im Westerwald erschien es nur folgerichtig, die Region aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. „Ich war nicht auf der Suche, aber es ist ein tolles Thema, das mich angesprochen hat.“

Faszination Lost Places
Auf den ersten Blick scheinen verlassene Orte das Gegenteil von Glücksorten zu sein. Doch Stahl sieht das anders. Auch diese vergessenen Plätze üben eine magische Anziehung aus. Die Vergänglichkeit, die sie ausstrahlen, ist eine eigene Form von Schönheit.
„Lost Places sind ein Geschenk“, sagt er. „Ich lasse sie auf mich wirken, sitze einfach nur da und tauche ein. Es entstehen Geschichten, mein Kopfkino setzt ein – ein Erlebnis für alle Sinne.“
Die Vergänglichkeit dieser Orte spiegelt auch die eigene Vergänglichkeit wider. „Ich bin demütiger geworden. Vieles relativiert sich. Irgendwann ist alles vorbei. Wir sind alle vergänglich.“
Herausforderungen und Überraschungen
Die Recherche zu den Lost Places gestaltete sich oft schwierig. Besonders die Bildrechte stellten eine Herausforderung dar – nicht immer war klar, ob und wo fotografiert werden durfte. Das erforderte viel Zeit und Geduld.
Überraschungen gab es ebenfalls: Manche Orte wirkten, als seien ihre Bewohner erst vor wenigen Stunden geflüchtet – Teller standen noch auf dem Tisch, persönliche Gegenstände lagen verstreut. Auch der schnelle Verfall wurde bei wiederholten Besuchen sichtbar. Gebäude, die Stahl einmal dokumentierte, waren Monate später bereits eingefallen oder überwuchert.
Wie entwickeln sich diese Orte weiter?
Die Zukunft der Lost Places im Westerwald ist unterschiedlich. Einige Orte werden restauriert und umgebaut, andere bleiben dem Verfall überlassen. Manche verschwinden vollständig – sei es durch Abriss oder weil die Natur sie zurückerobert. Nicht alle ursprünglich geplanten Orte haben es ins Buch geschafft, teils weil sie bereits stark verändert waren, teils weil es (foto-)rechtliche Bedenken gab.
Zukunftspläne: Geht es weiter?
Andreas Stahl sprudelt vor Ideen. In seiner Schublade liegt bereits (mindestens) ein fertiges Manuskript, das auf den richtigen Verlag wartet. Auch andere kreative Projekte stehen in den Startlöchern.
Mit Lost & Dark Places Westerwald hat er eine neue, faszinierende Perspektive auf seine Heimat geschaffen – eine Einladung, den Westerwald von einer ganz anderen Seite kennenzulernen. Doris Kohlhas