Im Jahr 1419 staunten die Kinder von Freiburg über einen ungewöhnlichen Anblick: In der Bäckerzunft stand ein Baum, geschmückt mit Äpfeln, Nüssen und Lebkuchen. Als die Feiertage vorüber waren, durften sie die Köstlichkeiten pflücken - ein Brauch, der bald Nachahmer fand. Was damals begann, entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte zu einem der stärksten Weihnachtssymbole überhaupt: dem geschmückten Christbaum.
Seine Wurzeln reichen weit zurück. Schon im Mittelalter galt der immergrüne Zweig als Sinnbild des Lebens, das selbst in der Dunkelheit des Winters Bestand hat. In sogenannten Paradies- oder Spielbäumen, die an Heiligabend in Kirchen aufgestellt wurden, hingen Äpfel als Erinnerung an den Sündenfall, aber auch als Zeichen der Hoffnung auf Erlösung. Aus diesen religiösen Darstellungen entstand allmählich ein häuslicher Brauch, der zunächst im Südwesten Deutschlands gepflegt wurde und sich von dort aus verbreitete. Im 18. und 19. Jahrhundert hielt der Christbaum Einzug in bürgerliche Wohnstuben. Zunächst blieb er den wohlhabenden Familien vorbehalten - ein Statussymbol, das Wärme und Geborgenheit ausstrahlte. Mit der Industrialisierung und dem Aufkommen des Kunsthandwerks wurde der geschmückte Baum dann für alle Bevölkerungsschichten erschwinglich. Er wurde zum Mittelpunkt des Weihnachtsfestes, zum Ort gemeinsamer Rituale und zum sichtbaren Zeichen familiärer Zusammengehörigkeit.

Wie der Baum aussah, verrät viel über den Geist seiner Zeit. Im 19. Jahrhundert erleuchteten echte Kerzen die Äste, deren Flackern zugleich Magie und Risiko bedeutete. Später kam das funkelnde Lametta hinzu - zunächst aus echtem Silber, später aus Stanniol oder Kunststoff -, das das Kerzenlicht vervielfachte. In den Nachkriegsjahren schmückten viele ihre Bäume schlicht, in den 1970er-Jahren farbenfroh und unkonventionell. Jede Generation fügte dem Festbaum ihre eigene Handschrift hinzu. Heute steht der Christbaum im Zeichen von Nachhaltigkeit und Individualität. Viele verzichten auf Plastik und setzen auf natürliche Materialien wie Holz, Papier, getrocknete Orangenscheiben oder handgefertigte Anhänger. Andere schmücken bewusst mit Erinnerungsstücken - kleine Relikte vergangener Weihnachten, die den Baum zu einem Familienarchiv machen. Auch die Form wandelt sich: Neben Tanne und Fichte finden sich Nordmanntannen, Douglasien oder moderne Alternativen aus Holz, Metall und sogar Pappe. Doch bei aller Veränderung bleibt der Kern gleich. Der Weihnachtsbaum ist mehr als Dekoration - er ist Symbol und Spiegel zugleich. Er erzählt von Glauben und Hoffnung, von Wandel und Beständigkeit. Vielleicht berührt er uns deshalb so sehr weil er mitten im Winter ein Stück Leben verkörpert. Wenn am Heiligabend die Lichter erstrahlen, das Wachs duftet und die Kugeln das warme Leuchten widerspiegeln, wird aus einem einfachen Baum ein Zeichen für das, was Weihnachten im Innersten bedeutet - Licht, Wärme und die Gewissheit, dass Zusammenhalt stärker ist als Dunkelheit. red
