Der FV Engers schreibt Geschichte. Zum dritten Mal in nur fünf Jahren steht der Oberligist in der ersten Hauptrunde des DFB-Pokals – doch diesmal ist alles anders. Gegner ist kein Zweitligist, sondern mit Eintracht Frankfurt ein echtes Schwergewicht des deutschen Fußballs. Für Julian Feit, der erst vor wenigen Wochen das Traineramt von Vereinsikone Sascha Watzlawik übernommen hat, ist das Duell auf dem Koblenzer Oberwerth ein Einstand mit Gänsehautgarantie. Im Interview spricht der junge Coach über große Fußstapfen, kleine Chancen – und die Magie des Moments.

Herr Feit, eines Ihrer ersten Pflichtspiele als Cheftrainer des FV Engers – und dann gleich gegen Eintracht Frankfurt. Wie haben Sie auf die Auslosung reagiert?
Es ist besonders, solch ein Erlebnis am Anfang bei einem neuen Verein zu haben. Meinen Freudenschrei konnte man bei der Auslosung vermutlich noch ein paar Kilometer entfernt hören.
Viele Trainer brauchen Monate, um sich einzugewöhnen. Sie steigen direkt mit dem größten Spiel der Vereinsgeschichte ein. Überwiegt bei Ihnen Freude, Respekt oder vielleicht sogar ein bisschen Druck?
Es ist nur Freude! Es fühlt sich bereits vertraut an. Ich freue mich mit der Mannschaft und dem gesamten Umfeld, den Tag und alles, was davor und danach passiert, zu erleben. Durch das Spiel habe ich bereits sehr früh erfahren, welche Kraft und Energie alle Helfer rund um den Verein entwickeln und wie sich jeder mit dem FVE identifiziert und sich selbstlos in den Verein einbringt.
Sie treten die Nachfolge von Sascha Watzlawik an, der den Verein über Jahre geprägt hat. Wie gehen Sie mit dieser Erwartungshaltung um?
Ich empfinde es als großes Kompliment, dass ich auf Watze folgen darf. Ich spüre keinen Druck oder Ähnliches, sondern empfinde es als ein Miteinander. Ich habe sofort gemerkt, dass ich viel Vertrauen bekomme und meinen Stil im Verein einbringen darf.

Wie erleben Sie den Verein aktuell – mitten zwischen Aufbruchsstimmung, Euphorie und Vorbereitungsstress?
Ich habe es schonmal gesagt: Für mich ist der Verein im positivsten Sinn ein Kreisligist auf Oberliganiveau. Es ist familiär, jeder hat ein Lachen auf den Lippen, wenn er das Gelände betritt. Natürlich gibt es mit Blick auf das Spiel organisatorisch viel mehr zu tun als im Alltag. Und trotzdem kommt der Spaß nie zu kurz. Was mich am meisten freut, ist, wie stolz alle sind, dass wir dieses Spiel erleben werden. Jeder hat in seinem Bereich mehr Verantwortung als im Normalbetrieb, und trotzdem spürt man, dass jeder die Zeit unfassbar gerne investiert – das gibt uns allen viel Energie.
Wie bereitet man eine Oberliga-Mannschaft auf ein Spiel gegen einen Champions-League-Teilnehmer vor? Gibt es überhaupt eine realistische taktische Herangehensweise?
Unsere Marschroute ist, unsere Spielidee – ganz gleich gegen wen – immer auf den Platz zu bringen. Egal, ob es im Rheinlandpokal gegen einen Kreisligisten ist oder eben gegen Eintracht Frankfurt. Natürlich wissen wir, dass wir in dem Spiel nicht alleine bestimmen, wie viele unserer Qualitäten sichtbar werden, aber wir wollen Momente kreieren, bei denen die Zuschauer sagen: „Das ist der FV Engers!“
Wird bewusst „klein gedacht“ – oder gibt es einen mutigen Plan, mit dem man Eintracht Frankfurt überraschen will?
Wie schon gesagt, werden wir unsere Identität auf den Platz bringen. Dass es kein Spiel wird, bei dem wir 80 Prozent Ballbesitz haben werden, ist jedem klar. Wir haben in der Mannschaft jedoch Qualitäten, die ligaunabhängig gut sind. Standards und Umschaltmomente mit unserer Geschwindigkeit und Kopfballstärke sind zwei Punkte, über die wir uns Spielsituationen für die Ewigkeit erschaffen wollen. Zudem müssen wir in den talentfreien Bereichen – allen voran der Laufbereitschaft – perfekt sein.
Welche Rolle spielt mentale Vorbereitung in so einer Konstellation? Wie nehmen Sie Ihren Spielern vielleicht die Nervosität – oder befeuern die Lust auf den großen Moment?
Ich kenne die Jungs erst seit ein paar Wochen intensiv, aber ich kann mit voller Überzeugung sagen, dass wir mit Gewissheit riesige Lust haben werden, dieses Spiel zu spielen. Auf dem Platz müssen wir uns durch die ersten mutigen Aktionen die Anspannung nehmen und uns gegenseitig vertrauen. Ich bin noch gar nicht nervös, weil ich weiß, welche sensationelle Gruppe an Spielern und Menschen um den Verein den FVE repräsentieren werden. Ich freue mich darauf, dass die Jungs sich die Chance erspielt haben, vor großem Publikum ihren besonderen Spirit zu zeigen.
Was werden Sie der Mannschaft unmittelbar vor dem Spiel sagen?
Das wird die Mannschaft dann hören (lacht). Aber natürlich geht es darum, den Tag zu genießen. Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich daran denke, wie wir die ersten Zweikämpfe gewinnen, uns gegenseitig abklatschen und heiß darauf sind, den nächsten Sprint anzusetzen. Wenn wir etwas genießen wollen, müssen wir ans absolute Limit gehen. Besonders kann man Leistungen genießen, auf die man am Ende stolz ist, ganz unabhängig vom Ergebnis.
Viele Fans sprechen vom „Spiel des Jahrhunderts“. Wie erleben Sie diese Stimmung im Umfeld – und was macht das mit einem jungen Trainer?
Ich erlebe es auch als solches Spiel. Es gibt kein besseres Los. Das Umfeld ist euphorisiert, freut sich, Gastgeber zu sein, und macht ganz viele Dinge gerade richtig. Es ist schön zu spüren, wie viel Aufmerksamkeit der Verein bekommt. Was erhoffen Sie sich – unabhängig vom Ergebnis – von diesem Spiel für den FV Engers als Verein? Dass der Verein genauso von außen wahrgenommen wird, wie er sich von innen anfühlt. Ich wünsche mir, dass jeder Einzelne nach diesem Tag seine eigenen Geschichten zu dem Erlebnis zu erzählen hat.
Hand aufs Herz: Wie hoch schätzen Sie die Chance ein, gegen Frankfurt eine Sensation zu schaffen?
Ich kann jetzt die klassischen Sprüche raushauen: Es geht bei 0:0 los. Es ist nicht unmöglich, also lasst es uns versuchen, usw. Mir ist es wichtiger, dass wir Situationen auf dem Feld herstellen, an die wir uns gerne erinnern. Sicherlich wird da auch mal ein Gedanke dabei sein wie: Puh, der war aber richtig gut. Unser Ziel ist es, dass auch die Frankfurter Spieler danach denken: Die spielen „nur“ Oberliga? Wir können auch situativ wehtun und Frankfurt das Leben schwer machen.
Gibt es bei Frankfurt Spieler, bei denen Sie sagen: Wenn der heute nicht in Topform ist, könnten wir profitieren?
Das wäre vermessen, da jeder Lizenzspieler von Frankfurt eine sehr hohe Qualität hat. (Lachend) Ekitiké hat sich ja schon selbst vor den Sprintduellen mit unseren Verteidigern geschützt (Hinweis: Der Mittelstürmer wechselte für 95 Millionen Euro zum FC Liverpool).
Welche Bedeutung hat der DFB-Pokal für Sie persönlich?
Für mich persönlich ist es spannend, aus nächster Nähe zu sehen, wie eine der besten Mannschaften im Land aus sportlicher Sicht arbeitet. Wie geht man miteinander um, wie wird kommuniziert? Für mich persönlich schließt sich der Kreis, da ich mit Rot-Weiß Koblenz den Rheinlandpokal gewonnen habe, aber das DFB-Pokalspiel aufgrund meines Wechsels zum Ahrweiler BC dann nicht miterleben konnte. Jetzt hat Watze mir das Geschenk gemacht, dass ich ohne mein sportliches Zutun im DFB-Pokal Trainer bin.
Ist das für Sie das größte Spiel Ihrer bisherigen Fußballkarriere – als Trainer, aber auch ganz persönlich?
Ja. Die Aufmerksamkeit ist gewaltig und ich müsste schon ein paar Jahre hintereinander mit Engers aufsteigen, um dauerhaft solche Gegner zu bekommen. Also ganz klar: das größte Spiel.
Was wäre für Sie – unabhängig vom Ergebnis – ein gelungener Pokaltag?
Wenn wir es schaffen, dass unsere Fans während der 90 Minuten in vielen Momenten mitfiebern können und aufgeregt sind, was auf dem Spielfeld passiert. Zudem, dass es eine atemberaubende Stimmung wird, dass ich mein eigenes Wort nicht mehr verstehe und ich nach Abpfiff jeden mit einem Lachen auf den Lippen beim Aufstehen helfe wegen Krämpfen und in den Arm nehmen kann, weil wir alles rausgehauen haben. Und dann wäre es noch perfekt, wenn wir mit einigen hundert Fans in Engers einen schönen Abschluss haben und bei dem ein oder anderen Kaltgetränk anstoßen.
Und zum Abschluss: Was wünschen Sie sich für die kommende Saison – nach diesem Ausnahme-Ereignis?
Dass wir süchtig werden nach solchen Spielen und immer wieder unsere eigenen Werte auf den Platz bringen. Ich wünsche mir, dass wir mit unserer Art begeistern können und einige Zuschauer aus dem Pokalspiel auch den Weg zum Wasserturm finden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christian Koch