Der Spiegelbahnhof von David Wagner

Er ist ein deutscher Schriftsteller, der im Rheinland aufgewachsen ist. Für sein Werk erhielt er mehrere Literaturpreise.

01. Januar 1970
Der Spiegelbahnhof von David Wagner

Das Restaurant Interieur No. 253 im Bahnhof Rolandseck Foto: Helmut Reinelt

Nach etwa zwei- bis dreihundert Fahrten auf der Rheinstrecke wusste ich, wo ich im Zug sitzen musste, um mich im Bahnhof Rolandseck im Spiegel zu sehen. Die Bahnsteige waren damals - ich erinnere mich an die frühen achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts, ich war elf, zwölf, dreizehn Jahre alt - zum Teil verspiegelt. Sind sie es noch? Ich müsste mal wieder aussteigen in Rolandseck. Und nachsehen.

Damals saß ich meist in einem sogenannten Eilzug mit roten Kunstlederpolster, offenen Abteilen sowie Raucher- und Nichtraucherwagen. Eilzüge hielten fast überall, in Rolandseck meist vor der Spiegelwand. Für mich hieß die Station deshalb der Spiegelbahnhof.

Er wirkte wie aus der Zeit gefallen, dieser Spiegelbahnhof, wie ein Lustschlösschen. Er unterschied sich deutlich von den vielen Nachkriegs-Bahnhofsneubauten an der Strecke, Rolandseck wirkte wie eine von Bombardierung und Abrissorgien verschonte Filmkulisse.

David Wagner Ⓒ Rowohlt/Linda Rosa Saal
David Wagner Ⓒ Rowohlt/Linda Rosa Saal

Dass dieses Schlösschen einmal der Endbahnhof der ersten Köln-Bonner Eisenbahn gewesen war, wusste ich noch nicht. Ich wusste auch noch nicht, dass Clara Schumann, Friedrich Nietzsche, Johannes Brahms und Franz Liszt in Rolandseck ausgestiegen waren, um wie so viele Engländer zum Drachenfels überzusetzen, dem Top-Reiseziel in Preußen, dem meistbestiegenen Berg des 19. Jahrhunderts - seit Lord Byron ihn in Childe Harold's Pilgrimage so euphorisch besungen hatte.

Mein eigner täglicher Rheinschienentourismus war viel profaner, ich fuhr in die Schule und wusste, dass ich auf dieser meiner Rheinfahrt mehrere Grenzen passierte. Der Eilzug, der sich selten beeilte, überquerte nicht nur die Grenze zwischen den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, sondern auch eine Sprachgrenze. In der Umgebung meiner Großeltern in Bad Godesberg wurde anderer Dialekt gesprochen als in Andernach, das fiel mir schon als Kind auf. Und aus dem Lateinunterricht wusste ich, dass der ehemalige Endbahnhof mit den verspiegelten Bahnsteigen sich nicht allzu weit von der Grenze zwischen den Römischen Provinzen Ober- und Niedergermanien befand. Wir sind Römer, ihr lernt die Sprache, die ihr eigentlich sprechen müsstet, sagte meine Lateinlehrerin. Und ich glaubte ihr.

Zahlreiche Besucher bei der Familienwerkstatt Foto: Helmut Reinelt
Zahlreiche Besucher bei der Familienwerkstatt Foto: Helmut Reinelt

Als ich nach vielen Jahren wieder einmal in Rolandseck ausstieg (die Züge sind moderner, aber weniger zuverlässig und pünktlich, es gibt keine Raucherabteile mehr), bemerkte ich, dass ein großes weißes Raumschiff auf dem Berg über dem historischen Bahnhofsgebäude gelandet war. Ein sehr ähnlich strahlend weißes Raumschiff hatte ich 1995 in Barcelona im Viertel El Raval landen sehen und das MACBA (ein Museum für zeitgenössische Kunst) in der ersten Woche nach seiner Eröffnung sehr aufgeregt besucht. Ich staunte nicht schlecht über Richard Meiers hellen Architektentraum, nun auch am Rhein. Als ich durch den Stummel-Tunnel mit Glasaufzug in den neuen Museumsbau hinauffuhr, erinnerte ich mich an ein weiteres Richard-Meier-Raumschiff, an das in hellem Ocker über Los Angeles thronende Getty Center. Auch dort gibt es einen Zug, eine Privatbahn, die Besucher von den unterirdischen und weit ab liegenden Parkdecks auf das Plateau mit den Ausstellungsräumen und der Bibliothek hinaufbefördert, ein bisschen wie in Disneyland.

Die Glasaufzugfahrt in Rolandseck ist deutlich kürzer, trotzdem dachte ich, das neue Nebengleis fährt mich nach Kalifornien. Vor dem Spiegel, an dem der Eilzug hielt, hätte ich mir das nicht ausdenken können.


arp museum Bahnhof Rolandseck

Unsere Veranstaltungen

Konzertabend der Villa Musica im Festsaal des historischen Bahnhofs Foto: Helmut Reinelt
Konzertabend der Villa Musica im Festsaal des historischen Bahnhofs Foto: Helmut Reinelt

Führungen
• SO, 15-16:30 Uhr: Öffentliche Führung durch das Museum und die aktuellen Ausstellungen
• Zu jeder Ausstellung: Führungen mit dem kuratorischen Team

Kreativ werden im Arp Labor
• FR, 14-17 Uhr: Offene Werkstatt kostenfrei
• SO, 15-17 Uhr Offene Familienwerkstatt kostenfrei
• Ganzjährig Künstlerworkshops von Kalligrafie über Aktzeichnen bis Bronzeguss
Kindergeburtstage buchbar

Konzertreihe der Villa Musica
Museumsfeste kostenfrei
• SO 17.5.2026, 11-18 Uhr
• SO 27.9.2026, 11-18 Uhr


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Öffnungszeiten
DI-SO und an Feiertagen: 11-18 Uhr Geschlossen: 24.12., 31.12. und Rosenmontag

Adresse
Arp Museum Bahnhof Rolandseck
Hans-Arp-Allee 1, 53424 Remagen
Kostenfreie Parkplätze vorhanden

Eintrittspreise
• Alle Ausstellungen: 12 €, ermäßigt 9 €
• Familienticket: 18 € (zwei Erwachsene, max. sechs eigene (Enkel-)Kinder bis 18 Jahre)
• Frei: Kinder bis 12 Jahre, Studierende der Kunst und Kunstgeschichte
• Jahreskarte: 60 €

Museumsdienstag
• ermäßigter Eintritt für alle, freier Eintritt für Studierende, Auszubildende und Inhaber*innen der Familienkarte RLP

Kostenfreie Hin- und Rückfahrt beim Online-Kauf einer Eintrittskarte für das Arp Museum Bahnhof Rolandseck
(Sie erhalten eine tagesgebundene, kostenfreie Hin- und Rückfahrt mit allen Bussen und Nahverkehrszügen im Verkehrsverbund Rhein-Mosel in der zweiten Klasse.)

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